Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben statt kleben

Leben statt kleben

Titel: Leben statt kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Medele
Vom Netzwerk:
die Küche zurück – um dort dann nur schnell einen Kaffee zu machen und damit aus dem Rhythmus zu kommen. Erst am Ende werden alle Stücke, die sich verlaufen haben, an ihren Platz zurück gebracht. So gibt’s keine willkommenen Unterbrechungen, die Ablenkung lauert erfolglos auf uns als Opfer.
    Eine Dilemma-Kiste hilft bei Dilemmata. Ehe wir uns in mentale Uuh-Äh-Weiß-Nicht-Debatten verheddern, segelt das Teil kurzerhand dahinein. Die Urteilsfindung passiert dann wie von selbst. Wenn wir das Objekt nach zwei Stunden herauskramen, mit fliegenden Fingern und bebendem Herzen, es an uns drücken und tränenüberströmt ausrufen: „Wie konnte ich nur ohne dich leben?!?“ – Klarer Fall. Wenn wir uns nach zwei Wochen beim besten Willen nicht mehr erinnern können, was nochmal in dieser Kiste...? – hat sich die Entscheidung ebenfalls von selbst erledigt.
    Dann geht’s ans Handarbeiten. Stück für Stück unterzieht sich dem Clutter-Test: „Mag ich das? Benutze ich es?“ Mit jedem Objekt auf dem Prüfstand entfernen wir uns weiter von der Oberfläche, vom „wo hebe ich das auf?“ und dringen vor zum tiefgründig komplizierteren „warum habe ich das? Was hat dieses Teil noch mit mir zu tun?“ Das Gipfelstürmen beginnt, neue Ein- und Aussichten locken. Bergführer sind Sachen, von denen wir gar nicht mehr wussten, dass sie da sind. Das wichtigste Prinzip beim Aufund Ausräumen: immer von innen nach außen. Erst muss alles raus. Schrittweise Platz geschaffen werden für die Dinge und Dokumente, die bleiben dürfen, aber momentan ein Nomadendasein fristen. Bevor die Klarheit sich wie Phoenix aus den Haufen emporschwingt, wird‘s erstmal chaotischer, also keinesfalls alles auf einmal herausreißen. Mit den Sachen anfangen, die leichter fallen (alte Zeitschriften?) und sich dann langsam hocharbeiten zu kniffligeren Herausforderungen wie Geschenken oder Fotos.
    Wollten Sie schon lange mal eine Rezepte-, Reise- oder Gesundheitsakte anlegen – ist aber schon alles voller Ordner? Wahrscheinlich besetzen Dinosaurier aus der Studienzeit das gesamte unterste Fach. Oder wir hängen an den Steinzeitrelikten unserer bewegten Vergangenheit als Umweltschutzaktivistin oder Elternbeiratsvorsitzender. „Das war so eine schöne Zeit. Zu meiner Zeit...“ – Unsere Zeit läuft noch. Altes blockiert Neues. Sammlungen auf ein ,Best of’ abspecken: aus sieben mach drei, aus drei mach eins – et voilá, da ist der Platz für Neues! Liegt der Schwerpunkt auf Erinnerungen oder einer freudig gelebten, verheißungsvollen Gegenwart?
    Dinge in Kartons sind von vorneherein hochverdächtig. Wie sind die da hineingeraten? Wohl weil die besten Plätze in der Wohnung schon mit Geschätzterem belegt sind. Unfreiwillige Kistenexilanten aus dem Dunkel befreien und wieder miteinbeziehen ins Leben. Oder ziehen lassen zu jemandem, der genau das damit tun wird.
    An freigeräumte Leere müssen wir uns schrittweise gewöhnen. Sie kann sich eine Nummer zu groß anfühlen, beängstigend schwerelos. Solange man feststeckt, kann man in keine Abgründe stürzen. Krempelmauern abtragen ist Schutzpolsterentzug, wir kicken uns die Krücken weg. – Beim Clearing gehen die Uhren anders. Da zählt nur eine Uhr, und das ist die innere. Geduldig jedes Stück, jedes Blatt Papier in die Hand nehmen, sich verabschieden oder freudebringend in den Alltag integrieren. Keine überstürzten Gewaltaktionen: auch wenn es momentan erleichternd wäre, nichts kistenweise unbesehen wegkippen. Sonst kleben wir mental für den Rest unseres Lebens daran fest. „War da etwa ... drin?“
    Während des Clearings neu organisieren, jedes Ding bekommt einen festen Platz, oft Benutztes an die am leichtesten zugänglichen Stellen. Wie viele Langstrecken legen wir zurück, vom Waschmittel zur Maschine, vom Tonträger zum Abspielgerät? Ähnliches darf zusammen wohnen.
    Wenn uns Gefühle aus dem Konzept bringen, kurz in die Vogelperpektive wechseln. Eine Klientin erzählte, wie sie eines Nachts jäh erwachte. Im Haus war Feuer ausgebrochen. Ihr Mann packte ein Kind und die Dokumentenmappe. Sie nahm das andere Kind auf den Arm, eine Hand war noch frei. Sie ließ den Blick schweifen, Sekundenbruchteile. „Was nehme ich noch mit?“ – und wusste plötzlich: „Ich habe alles, was ich brauche.“
    Was würden Sie mit bloßen Händen ins Freie retten? Auf eine Flucht mitnehmen?
    Kleider machen Leute
    Wir tragen 20% unserer Garderobe 80% der Zeit. Das heißt: Wir ziehen das meiste so

Weitere Kostenlose Bücher