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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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mit der Muttermilch eingesogen hatte - auch in Bogotá erfolgreich wurden. Die Sendung mit der größten Zuhörerzahl war La hora costeña, die Stunde der Küste, moderiert von Pascual Delvecchio, der eine Art Konsul der Küstenmusik in Bogotá war. Sonntagvormittags war dieses Programm besonders beliebt, und wir Studenten aus der Karibik kamen in den Sender, in dessen Räumen wir bis zum späten Nachmittag tanzen konnten. So begann die enorme Popularität der karibischen Musik im Landesinneren, die sich später bis in die fernsten Winkel ausbreitete. Und damit stieg auch das Ansehen der karibischen Studenten in Bogotá.
    Das einzige Schreckgespenst war eine erzwungene Ehe. Ich weiß nicht, welche unseligen Präzedenzfälle an der Küste den Glauben genährt hatten, dass die Bräute aus Bogotá sich mit uns Kariben locker gaben und uns im Bett Fallen stellten, um eine Heirat zu erzwingen. Und das nicht etwa aus Liebe, sondern weil sie hofften, einmal in einem Haus mit Meerblick zu leben. Ich habe das nie geglaubt. Im Gegenteil, zu den unangenehmsten Erinnerungen meines Lebens gehören die finsteren Bordelle in den Außenbezirken von Bogotá, in denen unsere trübsinnigen Besäufnisse mündeten. In einem besonders schäbigen Bordell hätte ich fast das bisschen Leben gelassen, das mir noch blieb, als eine Frau, mit der ich gerade zusammen gewesen war, nackt auf dem Gang auftauchte und schrie, ich hätte ihr zwölf Pesos aus einer Schublade des Toilettentischs gestohlen. Zwei Rausschmeißer des Hauses schlugen mich nieder und begnügten sich nicht damit, mir die letzten beiden Pesos, die mir nach dem schäbigen Liebesgeschäft geblieben waren, aus der Tasche zu holen, sie zogen mich auch noch bis auf die Schuhe aus und bohrten mit dem Finger in mir nach dem gestohlenen Geld. Sie hatten immerhin beschlossen, mich nicht umzubringen, sondern mich der Polizei zu übergeben, als der Frau einfiel, dass sie am Tag zuvor ihr Geldversteck geändert hatte, welches sie dann unberührt vorfand.
    Unter den Freundschaften, die mir von der Universität geblieben sind, war die zu Camilo Torres nicht nur unvergesslich, sondern auch die dramatischste unserer Jugend. Eines Tages kam er zum ersten Mal nicht zur Vorlesung. Der Grund dafür verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Er hatte seine Angelegenheiten geordnet und beschlossen, von zu Hause in das Priesterseminar von Chiquinquirá zu fliehen, das gut hundert Kilometer von Bogotá entfernt lag. Seine Mutter fing ihn am Bahnhof ab und sperrte ihn in ihre Bibliothek ein. Dort besuchte ich ihn, er war blasser als gewöhnlich, trug einen weißen Poncho und war von einer Ruhe und Gelassenheit, die mich zum ersten Mal an einen Zustand der Gnade denken ließ. Aus einer inneren Berufung heraus, die er bis dahin gut vertuscht hatte, der er aber nun bis zum Ende folgen wollte, hatte er beschlossen, ins Priesterseminar einzutreten.
    »Das Schlimmste ist schon vorüber«, sagte er zu mir.
    Damit wollte er mir sagen, dass er sich von seiner Freundin verabschiedet hatte und dass diese seine Entscheidung begrüßte. Nach einem Abend, der uns beide bereicherte, machte er mir ein schwer zu deutendes Geschenk: Die Entstehung der Arten von Darwin. Ich verabschiedete mich von ihm mit dem seltsamen Gefühl, dass es für immer war.
    Ich verlor ihn aus den Augen, solange er im Seminar war. Vage Nachrichten erreichten mich, dass er für drei Jahre theologischer Ausbildung nach Löwen gegangen sei, die religiöse Hingabe aber seinen studentischen Geist und seine weltlichen Manieren nicht verändert habe und dass die Mädchen, die für ihn schwärmten, ihn wie einen Filmschauspieler behandeln würden, der durch die Soutane entwaffnet sei.
    Zehn Jahre später, als er nach Bogotá zurückkehrte, war er mit Leib und Seele Priester, hatte sich aber die größten Tugenden aus seiner Jugend bewahrt. Ich war damals Schriftsteller und einfacher Journalist, war verheiratet und hatte einen Sohn, Rodrigo, der am 24. August 1959 in der Clínica Palermo in Bogotá geboren worden war. In der Familie beschlossen wir, dass Camilo ihn taufen sollte. Taufpate sollte Plinio Apuleyo Mendoza sein, mit dem meine Frau und mich schon seit längerem eine familiäre Freundschaft verband. Taufpatin wurde Susana Linares, die Frau von Germán Vargas, der mir stets seine Gaben als Journalist und bester Freund zugute kommen ließ - Camilo stand uns näher als Plinio, und schon seit viel längerem, aber ich wollte Camilo nicht als Paten wegen

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