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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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das war schon fast alles, wenn man von den Briefen an die Familie absah, die mir meine Mutter sogar dann noch korrigiert zurückschickte, als man mich schon für einen Schriftsteller hielt. Der Text, der schließlich auf der Meinungsseite veröffentlicht wurde, hatte nichts mehr mit dem zu tun, den ich geschrieben hatte. Nach den Korrekturen von Maestro Zabala und denen des Zensors waren von mir nur noch ein paar Fetzen lyrischer Prosa übrig geblieben, ohne Maß noch Stil, denen das grammatikalische Sektierertum des Korrektors den Rest gegeben hatte. Am Ende einigten wir uns auf eine tägliche Kolumne, die, vielleicht um die Verantwortung klein zu halten, unter meinem vollständigen Namen und einem feststehenden Titel erscheinen sollte: »Punto y aparte« - Punkt und Absatz.
    Zabala und Rojas Herazo, von der täglichen Routine abgehärtet, trösteten mich über die Mühen meines ersten Textes hinweg, so dass ich mich an die zweite und dritte Kolumne wagte, die nicht besser wurden. Fast zwei Jahre lang blieb ich in der Redaktion, veröffentlichte einen oder sogar zwei Beiträge pro Tag, die ich der Zensur abtrotzte, namentlich gezeichnet oder ungezeichnet, und hätte fast die Nichte des Zensors geheiratet.
    Ich frage mich noch heute, wie mein Leben ohne den Rotstift von Maestro Zabala verlaufen wäre und ohne die Daumenschrauben der Zensur, deren bloße Existenz schon eine schöpferische Herausforderung war. Doch der Zensor, getrieben von Verfolgungswahn, lebte in größerer Wachsamkeit als wir. Zitate von berühmten Autoren schienen ihm verdächtige Fallen, was sie oft auch waren. Er sah Gespenster. Er war der Abklatsch einer cervantinischen Figur, vermutete allenthalben versteckte Bedeutungen. An einem Abend seines schlechten Sterns, als er jede Viertelstunde auf die Toilette musste, wagte er sogar den Vorwurf, er sei drauf und dran, wegen all der Aufregung, die wir ihm besehenen, durchzudrehen.
    »Scheiße!«, schrie er uns an. »Mein Arsch ist bald im Eimer!«
    Die Polizei war militärisch organisiert worden, ein weiterer Beweis für die Zielstrebigkeit der Regierung, durch den Einsatz von politischer Gewalt das Land auszubluten, was an der Atlantikküste nur etwas milder ablief. Anfang Mai beschoss die Polizei jedoch ohne jeden Grund eine Prozession in den Straßen von Carmen de Bolívar, etwa zwanzig Meilen von Cartagena entfernt. Ich hatte eine sentimentale Schwäche für diesen Ort, in dem Tante Mama aufgewachsen war und Großvater Nicolás seine berühmten Goldfischlein erfunden hatte. Maestro Zabala, der in dem Nachbardorf San Jacinto geboren war, gab mir mit seltener Entschiedenheit den Auftrag, diese Nachricht zu kommentieren, ohne mich um die Zensur und die möglichen Folgen zu scheren. In meinem ersten unsignierten Artikel auf der Meinungsseite forderte ich von der Regierung eine gründliche Untersuchung des Übergriffs sowie eine Bestrafung der Verantwortlichen. Er hörte mit der Frage auf: »Was ist in Carmen de Bolívar geschehen?« Angesichts der Nichtbeachtung von offizieller Seite und schon im offenen Krieg mit der Zensur wiederholten wir die Frage in einer täglichen Notiz auf der gleichen Seite und mit wachsendem Nachdruck und waren durchaus bereit, die Regierung noch stärker in Verlegenheit zu bringen, als sie es ohnehin schon war. Nach drei Tagen ließ sich der Direktor der Zeitung von Zabala bestätigen, dass dieser sich mit der ganzen Redaktion abgesprochen hatte, und war einer Meinung mit uns, dass man das Thema nicht fallen lassen sollte. Also stellten wir weiterhin die Frage. Von Regierungsseite hörten wir inzwischen nur durch eine Indiskretion etwas: Es gab die Anweisung, uns versprengte Irre mit unserem Fragen allein zu lassen, bis uns die Puste ausginge. Das aber war nicht abzusehen, da sich unsere tägliche Frage schon als Grußformel auf der Straße eingebürgert hatte: »Hallo, Freund! Was ist in Carmen de Bolívar geschehen?«
    Unerwartet und unangekündigt sperrte dann eines Abends eine Patrouille des Heeres mit großem Geschrei und Waffengetöse die Galle San Juan de Dios ab, und Oberst Jaime Polanía Puyo, Kommandant der Militärpolizei, betrat festen Schritts das Gebäude von El Universal. Er trug die schneeweiße Uniform der großen Tage mit den Lackledergamaschen, den Säbel an einer Seidenkordel, und die Knöpfe und Abzeichen glänzten so sehr, dass sie aus Gold zu sein schienen. Er genügte voll und ganz seinem Ruf, elegant und charmant zu sein, auch wenn wir wussten,

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