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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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die Krise nicht allzu ernst zu nehmen, man werde der Zeitschrift, so beruhigte er mich, mit Hilfe des Redaktionsbeirats eine solide Basis verschaffen, und wenn es etwas zu tun gäbe, das wirklich der Mühe wert sei, würde er mir Bescheid sagen.
    Das war für mich der erste Hinweis, dass Alfonso die unglaubliche Möglichkeit des Endes von Crónica überhaupt in Betracht zog. Und es kam, ohne Tränen oder Jubel. Ein halbes Jahrhundert später habe ich dennoch den Eindruck, dass die Zeitschrift ein wichtiges Ereignis im Journalismus des Landes war. Es ist keine vollständige Sammlung von Crónica erhalten, nur sechs Nummern - die sechs ersten - und einige Ausschnitte in der katalanischen Bibliothek von Don Ramón Vinyes.
    Ein glücklicher Zufall war, dass man in dem Haus, in dem ich mich eingemietet hatte, neue Wohnzimmermöbel kaufen wollte und mir die alten zum Versteigerungspreis anbot. Am Vorabend meiner Reise, als ich mit El Heraldo abrechnete, ließen sie sich bei der Zeitung darauf ein, mir das Honorar für sechs Monate »La Jirafa« vorzustrecken. Mit einem Teil dieses Geldes kaufte ich Mayito die Möbel für unser Haus in Cartagena ab, weil ich wusste, dass die Familie nicht die aus Sucre mitnehmen und auch keine anderen kaufen konnte. Dabei muss ich erwähnen, dass die Möbel nach weiteren fünfzig Jahren immer noch gut erhalten und in Gebrauch sind, weil die dankbare Mutter nie zugelassen hat, dass man sie verkaufte.
    Eine Woche nach dem Besuch meines Vaters zog ich mit den Möbeln und nur wenig mehr, als ich am Leibe trug, nach Cartagena. Anders als beim ersten Mal wusste ich, wie ich alles Nötige zu erledigen hatte, kannte die Leute, an die ich mich wenden konnte, und wünschte von ganzem Herzen, dass es der Familie gut ergehen möge, mir dagegen sollte es als Strafe für meinen schwachen Charakter schlecht ergehen.
    Das Haus hatte eine gute Lage im Viertel La Popa, im Schatten des historischen Klosters, das aussah, als sei es kurz davor einzustürzen. Die vier Schlafzimmer und zwei Bäder im Erdgeschoss waren für die Eltern und ihre elf Kinder vorgesehen, von denen ich, der Älteste, fast sechsundzwanzig und Eligio, der Jüngste, fünf Jahre alt war. Alle aber waren gut erzogen in der karibischen Kultur der Hängematten, Bodenmatten und der Betten für mehrere Schläfer.
    Im Obergeschoss wohnte Onkel Hermogenes Sol, ein Bruder meines Vaters, mit seinem Sohn Carlos Martínez Simahan. Das Haus war nicht groß genug für so viele Leute, aber die Miete war niedrig dank der Geschäfte des Onkels mit der Eigentümerin, von der wir nur wussten, dass sie Pepa genannt wurde. Die Familie, mit ihrem unerbittlichen Sinn für Spott, hatte aus der Adresse bald ein perfektes Couplet gemacht: »Das Haus von der Pepa am Pie de la Popa.«
    Die Ankunft des Familientrosses ist für mich eine Erinnerung voller Geheimnisse. In der halben Stadt war der Strom ausgefallen, und wir versuchten im Finsteren das Haus herzurichten, um die Kinder schlafen legen zu können. Die älteren Geschwister erkannte ich an den Stimmen, die Kleinen hatten sich jedoch seit meinem letzten Besuch dermaßen verändert, dass ihre riesigen, traurigen Augen mir im Kerzenlicht unheimlich waren. Das Durcheinander von Koffern, Bündeln und im Dunkeln baumelnden Hängematten durchlitt ich wie einen häuslichen 9. April. Am größten war jedoch mein Entsetzen, als ich einen formlosen Sack wegtragen wollte, der mir aber aus den Händen glitt. Es waren Großmutter Tranquilinas sterbliche Überreste, die meine Mutter ausgegraben hatte, um sie im Beinhaus von San Pedro Claver beizusetzen, wo nun, in derselben Krypta, auch die meines Vaters und die meiner Tante Elvira Carrillo liegen.
    Mein Onkel Hermógenes Sol war genau der richtige Mann in jener Notsituation. Man hatte ihn zum Generalsekretär der Bezirkspolizei in Cartagena ernannt, und seine erste durchgreifende Maßnahme im Amt war, eine bürokratische Schneise zur Rettung der Familie zu schlagen. Es gab Arbeit für alle. Mich eingeschlossen, einen politisch Verirrten, von dem es hieß, er sei ein Kommunist. Diesen Ruf hatte ich mir nicht aufgrund meiner Ideologie, sondern wegen meiner Kleidung erworben. Papa bekam eine Stellung ohne politische Verantwortung in der Verwaltung. Mein Bruder Luis Enrique wurde zum Detektiv ernannt, und ich bekam einen Druckposten im Büro der Volkszählung, die von der konservativen Regierung anberaumt worden war, vielleicht weil man feststellen wollte, wie viele von uns

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