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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Gegnern noch am Leben waren. Der moralische Preis des Postens war höher als der politische, weil ich alle zwei Wochen das Gehalt abholte und mich die übrige Zeit nicht in der Gegend sehen lassen durfte, um Fragen aus dem Weg zu gehen. Die offizielle Rechtfertigung, nicht nur für mich, sondern für über hundert weitere Angestellte, lautete, dass man in offiziellem Auftrag außerhalb der Stadt unterwegs war.
    Das Café Moka, das gegenüber vom Volkszählungsbüro lag, war ständig überfüllt mit falschen Beamten, die nur zum Kassieren aus den Nachbardörfern kamen. In der Zeit, in der ich dort auf der Gehaltsliste stand, habe ich keinen Centavo des Geldes für mich persönlich ausgegeben, da die Summe lebensnotwendig für die Familie war und vollständig im Haushaltsgeld aufging. Inzwischen hatte mein Vater versucht, mich in der juristischen Fakultät einzuschreiben, und war dabei auf die Wahrheit gestoßen, die ich ihm verschwiegen hatte. Allein die Tatsache, dass er nun Bescheid wusste, machte mich so glücklich, als hätten sie mir ein Diplom verliehen. Mein Glück war sogar verdient, weil ich trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse endlich die Zeit und den Raum gefunden hatte, um meinen Roman zu beenden.
    Als ich bei El Universal auftauchte, behandelten sie mich wie einen Heimkehrer. Es war sechs Uhr abends, die geschäftigste Zeit, und bei meinem Eintreten schwiegen abrupt die Setz-und Schreibmaschinen, so dass ich einen Kloß im Hals hatte. Für die Indiosträhnen Maestro Zabalas war die Zeit stehen geblieben. Ich schien nie weg gewesen zu sein, denn Zabala bat mich sogleich um den Gefallen, ihm einen Kommentar zu schreiben, zu dem er noch nicht gekommen war. An meiner Schreibmaschine saß ein jugendlicher Anfänger, der mir so eilig und ungeschickt den Platz freimachte, dass er hinfiel. Nach zwei Jahren der Ungebundenheit bei »La Jirafa« war ich zunächst überrascht, wie schwer es mir fiel, einen anonymen Beitrag mit der gebotenen editorischen Umsicht zu verfassen. Ich hatte etwa eine Seite geschrieben, als Direktor López Escauriaza kam, um mich zu begrüßen. Seine britische Gelassenheit war unter Freunden und in politischen Karikaturen ein Allgemeinplatz, so dass ich über sein freudiges Erröten bei der Begrüßungsumarmung mehr als überrascht war. Als ich den Beitrag fertig geschrieben hatte, wartete Zabala mit einem Zettel auf mich, auf dem der Direktor ausgerechnet hatte, dass er mir ein Gehalt von 120 Pesos pro Monat für Redaktionsbeiträge anbieten konnte. Ich war so beeindruckt von der Summe, die für die Zeit und den Ort ungewöhnlich war, dass ich nicht einmal antwortete oder dankte, sondern mich gleich hinsetzte, um zwei weitere Beiträge zu schreiben, berauscht von dem Gefühl, dass die Erde tatsächlich um die Sonne kreist.
    Es war wie eine Rückkehr zu den Ursprüngen. Die gleichen Themen, mit liberalem Rot von Maestro Zabala korrigiert, von der gleichen Zensur eines inzwischen durch die j ruchlosen Listen der Redaktion gezähmten Zensors synkopisch gekürzt, die gleichen Mitternachtsstunden mit Beefsteaks, Spiegelei und Bananen im La Cueva und die gleichen Weltverbesserungsgespräche im Morgengrauen auf dem Paseo de los Mártires. Rojas Herazo hatte ein Jahr lang seine Bilder verkauft, um irgendwo anders hinzuziehen, bis er Rosa lsabel die Große heiratete und nach Bogotá zog. Gegen Ende der Nacht setzte ich mich hin, um »La Jirafa« zu schreiben, die ich mit der gewöhnlichen Post - etwas Moderneres gab es damals nicht - an El Heraldo schickte. Mit Ausnahmen, die höherer Gewalt geschuldet waren, lieferte ich pünktlich, bis ich meine Schulden abgearbeitet hatte.
    Das Leben mit der ganzen Familie unter schwierigsten Bedingungen ist keine Sache der Erinnerung, sondern der Vorstellungskraft. Die Eltern schliefen mit dem einen oder anderen der kleinen Kinder in einem Zimmer im Erdgeschoss. Die vier Schwestern meinten inzwischen Anspruch auf ein eigenes Zimmer zu haben. Im dritten schliefen Hernando und Alfrede Ricardo unter der Aufsicht von Jaime, der sie mit seinen philosophischen und mathematischen Predigten wach hielt. Rita, die etwa vierzehn war, lernte bis Mitternacht vor der Eingangstür unter dem Licht der Straßenlaterne, um im Haus Strom zu sparen. Sie lernte die Lektionen auswendig, indem sie sich diese laut vorsang, mit der Anmut und der guten Diktion, die sie noch immer hat. Viele Merkwürdigkeiten in meinen Büchern stammen aus ihren Leseübungen, wie etwa das Maultier

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