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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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geht zur Mühle oder die Schokolade des Schülers schmilzt in der schummrigen Schule oder der Dompteur widmet sich dem dräuenden Drachen. Das Haus wurde nach Mitternacht noch lebendiger, vor allem menschlicher; da ging jemand in die Küche, um Wasser zu trinken, oder auf die Toilette wegen fester oder flüssiger Dringlichkeiten, und Hängematten wurden in den Gängen über Kreuz auf unterschiedlicher Höhe befestigt. Nachdem der Onkel und sein Sohn sich in ihrem eigenen Haus eingerichtet hatten, wohnte ich zusammen mit Gustave und Luis Enrique und später auch Jaime im Obergeschoss; Jaime war bei Strafe auferlegt, nach neun Uhr abends über nichts mehr zu salbadern. Einmal hielt uns nach Mitternacht das zyklische Blöken eines verwaisten Lämmchens stundenlang wach. Gustave sagte verzweifelt:
    »Wie ein Leuchtturm.«
    Ich habe es nie vergessen, denn das war die Art von Vergleichen, die ich damals im wirklichen Leben für den entstehenden Roman aufschnappte.
    Es war das lebendigste Haus unter all den Häusern, in denen wir in Cartagena wohnten und die, wie die Mittel der Familie, immer bescheidener wurden. Auf der Suche nach billigeren Vierteln sind wir abgestiegen bis zu dem Haus in Toril, wo um Mitternacht der Geist einer Frau spukte. Ich hatte das Glück, damals nicht in Cartagena zu sein, aber allein die Zeugnisse von Eltern und Geschwistern weckten ein Grauen in mir, als sei ich da gewesen. Meine Eltern lagen in der ersten Nacht im Halbschlaf auf dem Sofa im Salon, als sie sahen, wie die Wiedergängerin in einem Kleid mit roten Blümchen und mit kurzem Haar, das hinter den Ohren von roten Schleifen gehalten wurde, von einem Schlafzimmer zum anderen ging, ohne die Eltern eines Blicks zu würdigen. Meine Mutter konnte sogar den Schnitt ihres Kleids und die Form der Schuhe beschreiben. Papa bestritt, den Geist gesehen zu haben, um seine Frau nicht noch mehr aufzuregen und die Kinder nicht zu erschrecken, doch die Selbstverständlichkeit, mit der sich das
    Gespenst von Einbruch der Dunkelheit an im Haus bewegte, erlaubte nicht, es zu ignorieren. Meine Schwester Margot wachte eines frühen Morgens auf und sah, wie die Frau sie vom Gitter des Betts aus anstarrte. Am meisten gruselte ihr jedoch davor, aus einem anderen Leben angesehen zu werden.
    Am Sonntag nach der Messe bestätigte eine Nachbarin meiner Mutter, dass das Haus über Jahre leer gestanden hatte, weil die Gespensterfrau so dreist gewesen war, auch schon mal am helllichten Tage, als die Mieter zu Mittag aßen, im Esszimmer zu erscheinen. Am nächsten Tag machte sich meine Mutter mit zwei der kleineren Kinder auf die Suche nach einem anderen Haus und hatte es innerhalb von vier Stunden gefunden. Den meisten Geschwistern fiel es jedoch schwer, die Angstvorstellung zu bannen, dass der Geist der Toten mit ihnen umgezogen war.
    Trotz der vielen Zeit, die ich im Haus am Pie de la Popa zur Verfügung hatte, waren die Tage für mich zu kurz, weil ich so viel Lust zum Schreiben hatte. Don tauchte auch wieder Ramiro de la Espnella mit dem Diplom eines Doktors der Jurisprudenz auf, er war politisierter denn je und begeistert von der Lektüre neu erschienener Romane. Vor allem von Curzio Malapartes Die Haut, einem Roman, der sich in jenem Jahr zu einem Schlüsseltext meiner Generation entwickelte. Die effektsichere Prosa, die Kraft der Intelligenz und die schauerliche Darstellung der zeitgenössischen Geschichte hielten uns bis zum Morgengrauen in Atem. Die Zeit hat uns jedoch gezeigt, dass Malaparte dazu bestimmt war, ein nützliches Beispiel für ganz andere Tugenden als jene zu sein, die ich mir wünschte, und das hat sein Ansehen schließlich zerstört. Eine gegenteilige Erfahrung machten wir fast zur gleichen Zeit mit Albert Camus.
    Die Familie De la Espriella wohnte damals in unserer Nähe, und sie hatte einen Weinkeller, aus dem die Brüder unschuldige einzelne Flaschen stibitzten, um sie uns zu bringen. Gegen den Rat von Don Ramon Vinyes las ich den De la Espriellas und meinen Brüdern lange Stücke aus meinen Manuskripten vor, so wie sie waren, unbearbeitet auf eben den Druckpapierstreifen, auf denen ich in den schlaflosen Nächten von El Universal alles schrieb.
    Zu jener Zeit kamen auch Alvaro Mutis und Gonzalo Mallarino zurück, doch ich war schamvoll genug, sie nicht darum zu bitten, meinen unfertigen Entwurf zu lesen, der noch keinen Titel hatte. Ich wollte mich zurückziehen, um vor der letzten Korrektur eine Abschrift im normalen Seitenformat

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