Leben, um davon zu erzählen
zu einer dringenden Sitzung zusammen, womit für mich beschlossene Sache war, dass die Filmspalte liquidiert und begraben würde. Als Don Gabriel jedoch nach der Sitzung an meinem Schreibtisch vorbeikam, sagte er, ohne das Thema zu erwähnen, wie ein verschmitzter Großvater zu mir:
»Nur ruhig, kleiner Namensvetter.«
Am nächsten Tag erschien die Antwort an den Schreiber in »Dia a dia«. Guillermo Cano hatte sie in einem entschieden professoralen Ton geschrieben, und der Schlusssatz stand für das Ganze: »Weder wird das Publikum drangsaliert, noch wird irgendjemandem geschadet, wenn die Presse ernsthafte und verantwortungsvolle Filmkritiken veröffentlicht, die sich ein wenig an den Gepflogenheiten in anderen Ländern orientieren und mit der alten und schädlichen Regel brechen, Gutes wie Schlechtes gleichermaßen übertrieben zu loben.« Es blieb nicht der einzige Brief und auch nicht unsere einzige Antwort. Funktionäre der Filmwirtschaft rückten uns mit bitteren Vorwürfen auf den Leib, und wir erhielten widersprüchliche Briefe von verwirrten Lesern. Doch alles erwies sich als vergeblich: Die Kolumne überlebte, bis die Filmkritik im Land allgemein üblich und in Presse und Rundfunk zur Routine geworden war.
Von da an veröffentlichte ich in knapp zwei Jahren fünfundsiebzig Filmkritiken, zu denen man die Stunden zählen muss, die es mich kostete, die Filme zu sehen. Dazu kamen etwa sechshundert Kommentare, alle drei Tage ein Beitrag mit oder ohne Namen und mindestens achtzig Reportagen, anonym oder unter meinem Namen. Meine literarischen Texte wurden inzwischen im »Magazine Dominical« derselben Zeitung veröffentlicht, darunter mehrere Erzählungen sowie die ganze La-Sierpe-Serie, die in der Zeitschrift Ldmpara wegen interner Querelen abgebrochen worden war.
Es war die erste sorgenfreie Epoche in meinem Leben, ich hatte jedoch keine Zeit, sie zu genießen. Das Apartment, das ich möbliert und mit Wäscheservice gemietet hatte, war nicht mehr als ein Schlafzimmer mit Bad, Telefon und Frühstück im Bett und einem großen Fenster, das auf den ewigen Nieselregen der traurigsten Stadt der Welt blickte. Ich benutzte die Wohnung nur, um ab drei Uhr früh, nachdem ich eine Stunde gelesen hatte, bis zu den Morgennachrichten im Radio zu schlafen, mit denen ich mich auf die Aktualität des neuen Tages vorbereitete.
Mit einer gewissen Unruhe dachte ich immer wieder, dass ich zum ersten Mal einen eigenen festen Platz zum Wohnen hatte, aber nicht genügend Zeit, um mir dessen richtig bewusst zu werden. Ich war derart damit beschäftigt, mein neues Leben in den Griff zu bekommen, dass meine einzige bedeutende Ausgabe das Ruderboot war, das ich pünktlich zum Monatsende meiner Familie schickte. Erst heute fällt mir auf, dass ich auch kaum Zeit hatte, mich um mein Privatleben zu kümmern. Vielleicht steckte ja noch die Vorstellung der karibischen Mütter in mir, dass die Bogotánerinnen sich ohne Liebe hingaben, nur um sich den Traum eines Hauses am Meer zu erfüllen. In meiner ersten Junggesellenwohnung in Bogotá war ich solchen Gefahren jedoch nicht ausgesetzt, nachdem ich den Portier gefragt hatte, ob Besuche von Mitternachtsfreundinnen erlaubt seien, und er mir weise antwortete:
»So etwas ist verboten, Senor, aber, was ich nicht sehen soll, das sehe ich nicht.«
Ende Juli, als ich gerade einen Kommentar schrieb, pflanzte sich José Salgar ohne vorherige Ankündigung vor meinem Schreibtisch auf und betrachtete mich lange schweigend. Ich hörte mitten im Satz auf zu schreiben und fragte verwundert:
»Was ist?«
Er zuckte nicht mit der Wimper und ließ seinen Farbstift mit einem diabolischen Lächeln, das gar zu absichtsvoll wirkte, Kapriolen schlagen. Ohne dass ich danach gefragt hätte, erklärte er mir, er habe mir die Reportage über das Massaker an den Studenten auf der Carrera Séptima nicht anvertraut, weil es sich um eine heikle Aufgabe für einen Anfänger gehandelt habe. Dafür bot er mir nun von sich aus das Diplom eines Reporters an, ganz direkt, doch ohne mich damit unter Druck setzen zu wollen, sofern ich bereit sei, einen tödlichen Vorschlag anzunehmen:
»Warum fahren Sie nicht mal nach Medellin und erzählen uns, was zum Teufel da passiert ist?«
Ich verstand nicht gleich, was er meinte, denn er sprach von etwas, das vor über zwei Wochen geschehen war, so dass man vermuten konnte, es handele sich um eine alte Kamelle, aus der nichts mehr zu machen war. Man wusste, dass am Morgen des 12.
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