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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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halte ich immer noch für das beste, auch wenn ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich es wirklich dort gelesen habe, und niemand hat mir helfen können, das zu klären. Das Märchen geht so: Ein Fischer verspricht seiner Nachbarin, ihr den ersten Fisch zu schenken, den er angelt, wenn sie ihm Blei für seine Angelschnur leiht, und als die Frau dann den Fisch aufschlitzt, um ihn zu braten, findet sie darin einen mandelgroßen Diamanten.
    Ich habe den Krieg gegen Peru stets mit dem Niedergang von Cataca verbunden, denn kaum war der Frieden erklärt, geriet mein Vater in ein Labyrinth von Schwierigkeiten, was schließlich zum Umzug der Familie in seinen Geburtsort Sincé führte. Für Luis Enrique und mich, die den Vater auf seiner Erkundungsreise begleiteten, bedeutete Sincé eine neue Schule des Lebens, mit einer Kultur, die sich so sehr von der unseren unterschied, dass es sich um einen anderen Planeten zu handeln schien. Schon am Tag nach der Ankunft führte man uns in die angrenzenden Gemüsefelder, und dort lernten wir, auf einem Esel zu reiten, Kühe zu melken, Stierkälber zu kastrieren, Fallen für Wachteln aufzustellen, mit Angelhaken zu fischen und zu begreifen, warum die Hunde in ihren Weibchen verhakt blieben. Luis Enrique war mir immer weit voraus bei der Entdeckung der uns von Mina verbotenen Welt, über die Großmutter Argemira in Sincé ohne jeden Hintergedanken mit uns sprach. So viele Onkel und Tanten, so viele Vettern unterschiedlicher Farbe, so viele Verwandte mit seltsamen Namen und umgangssprachlichen Eigenheiten sorgten anfangs eher für Verwirrung als für neue Erkenntnis, bis wir das Ganze als eine andere Art der Zuneigung begriffen. Papas Papa, Don Gabriel Martínez, ein legendärer Schulmeister, empfing Luis Enrique und mich in seinem Patio mit riesigen Bäumen, an denen Mangos wuchsen, die im Ort für ihren Geschmack und ihre Größe berühmt waren. Er zählte jede einzelne Frucht vom ersten Tag der Jahresernte an, pflückte sie selbst eine nach der anderen, wenn sie reif waren, und verkaufte sie Stück für Stück zum fabelhaften Preis von einem Centavo. Nach freundlichem Geplauder über sein Gedächtnis als guter Lehrer pflückte er zum Abschied vom üppigsten Baum eine Mango, die sollten wir uns teilen.
    Papa hatte uns diese Reise als wichtigen Schritt zur Familienzusammenführung verkauft, aber wir merkten bereits bei der Ankunft, dass sein heimlicher Vorsatz war, eine Apotheke an der großen Plaza im Zentrum aufzumachen. Mein Bruder und ich wurden an der Schule von Lehrer Luis Gabriel Mesa angemeldet, wo wir uns dann freier und besser in die neue Gemeinschaft eingebunden fühlten. Wir mieteten ein riesiges zweistöckiges Haus in bester Lage an der Plaza, es hatte einen umlaufenden Balkon, und in den leeren Schlafzimmern sang die ganze Nacht über der unsichtbare Geist einer Rohrdommel.
    Alles war für eine glückliche Ankunft von Mutter und Schwestern bereit, als das Telegramm mit der Nachricht von Großvater Nicolás Márquez' Tod eintraf. Er war von einem Halsleiden überrascht worden, das sich als finaler Krebs herausstellte, und es war kaum Zeit geblieben, ihn zum Sterben nach Santa Marta zu bringen. Der Einzige von uns, den er in seiner Agonie sah, war unser sechs Monate alter Bruder Gustave, den jemand auf das Bett des Großvaters gelegt hatte, damit dieser von ihm Abschied nehmen könne. Der sterbende Großvater hatte ihn noch einmal gestreichelt. Ich brauchte viele Jahre, um mir bewusst zu werden, welche Bedeutung dieser unfassbare Tod für mich hatte.
    Der Umzug nach Since fand dennoch statt, nicht nur die Kinder kamen, sondern auch Mina und die bereits kranke Tante Mama, beide gut versorgt von Tante Pa. Die Freude über den Neuanfang und das Scheitern des Projekts fielen jedoch fast zusammen, und noch bevor ein Jahr vergangen war, kehrten wir alle in das alte Haus nach Cataca zurück und stellten uns auf den Kopf, wie meine Mutter in aussichtslosen Situationen sagte. Nur mein Vater war in Barranquilla geblieben und erkundete die Möglichkeiten, seine vierte Apotheke aufzumachen.
    Meine letzte Erinnerung an Cataca und das Haus in jenen schrecklichen Zeiten ist der Scheiterhaufen im Patio, auf dem die Kleider meines Großvaters verbrannt wurden. Seine liquiliques aus dem Krieg und die weißen Leinenanzüge des Obersten in Zivil sahen ihm beim Verbrennen so ähnlich, als stecke er noch lebendig darin. Vor allem die vielen Stoffmützen in verschiedenen Farben, an denen man ihn

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