Leben, um davon zu erzählen
schon von fern erkennen konnte. Unter ihnen entdeckte ich meine Schottenmütze, die aus Versehen ins Feuer geraten war, und da erschütterte mich die Offenbarung, dass diese Vernichtungszeremonie mir eine eindeutige Rolle beim Tod des Großvaters zuschrieb. Heute sehe ich es deutlich: Etwas von mir war mit ihm gestorben. Aber ohne jeden Zweifel glaube ich auch, dass ich in diesem Augenblick ein Schriftsteller im Grundschulalter war, der nur noch schreiben lernen musste.
Die gleiche Gemütsverfassung machte mir Mut weiterzuleben, als ich mit meiner Mutter das Haus verließ, das wir nicht hatten verkaufen können. Da der Zug jederzeit eintreffen konnte, gingen wir gleich zum Bahnhof, ohne auch nur daran zu denken, noch irgendjemanden zu begrüßen. »Ein andermal kommen wir mit mehr Zeit zurück«, sagte sie, der einzige Euphemismus, der ihr einfiel, um auszudrücken, dass sie niemals zurückkehren würde. Ich meinerseits wusste da bereits, dass ich den Donner um drei Uhr nachmittags mein Leben lang vermissen würde.
Wir waren die einzigen Gespenster am Bahnhof, von dem Mann im Overall abgesehen, der die Fahrkarten verkaufte und außerdem all das erledigte, wofür zu unserer Zeit noch zwanzig oder dreißig eilfertige Männer gebraucht wurden.
Die Hitze war eisern. Jenseits der Bahngleise gab es nur noch Reste von der verbotenen Stadt der Bananengesellschaft: die alten Herrenhäuser ohne ihre roten Ziegeldächer, die welken Palmen inmitten von Gestrüpp und die Ruinen des Hospitals; hinter der Promenade dann das Haus der Montessori-Schule, verlassen zwischen hinfälligen Mandelbäumen, und vor dem Bahnhof die steinige kleine Plaza, der jede Spur von historischer Größe fehlte.
All das weckte beim bloßen Ansehen ein unwiderstehliches Verlangen in mir zu schreiben, um nicht zu sterben. Ich hatte so etwas schon mehrmals erlebt, aber erst jetzt erkannte ich darin das Feuer der Inspiration, ein grässliches Wort, aber doch so real, dass es alles, was sich ihm entgegenstellt, zu Asche verbrennen will.
Ich erinnere mich nicht daran, dass wir noch gesprochen hätten. Nicht einmal bei der Rückfahrt im Zug. Auf dem Schiff dann, früh am Montagmorgen, bei einer frischen Brise von der friedlichen Lagune, bemerkte meine Mutter, dass auch ich nicht schlief, und fragte:
»An was denkst du?«
»Ich schreibe«, erwiderte ich. Und beeilte mich, etwas freundlicher zu sein: »Besser gesagt, ich denke an das, was ich schreiben werden, wenn ich im Büro bin.«
»Hast du keine Angst, dass dem Vater vor Kummer stirbt?«
Ich kam mit einem Ausweichmanöver davon:
»Er hat schon so viele Gründe zum Sterben gehabt, und dieser ist weit weniger tödlich als andere.«
Es war keine besonders günstige Zeit, um sich an einen zweiten Roman zu wagen, nachdem ich mit dem ersten stecken geblieben war und mit mehr oder weniger Glück andere fiktionale Formen ausprobiert hatte, aber ich schwor in jener Nacht meinen eigenen Fahneneid, als ginge es in einen Krieg: den Roman zu schreiben oder zu sterben. Denn wie Rilke gesagt hat, dürfe man überhaupt nicht schreiben, wenn man glaubt, ohne zu schreiben leben zu können.
Vom Taxi aus, das uns zum Anlegesteg der Schiffe brachte, erschien mein altes Barranquilla im ersten Licht jenes bedeutsamen Februars wie eine fremde und traurige Stadt. Der Kapitän der Eline Mercedes lud mich ein, meine Mutter bis Sucre zu begleiten, wo meine Familie seit zehn Jahren lebte. Ich erwog es nicht einmal. Mit einem Kuss verabschiedete ich meine Mutter, und sie sah mir in die Augen, lächelte mich zum ersten Mal seit dem vergangenen Nachmittag an und fragte in ihrer schalkhaften Art:
»Also, was sage ich deinem Vater?«
Ich antwortete, das Herz in der Hand: »Sag ihm, ich liebe ihn sehr, und ich verdanke es ihm, dass ich Schriftsteller werde.« Und kam unbarmherzig jeder Alternative zuvor: »Nichts als Schriftsteller.«
Das sagte ich gerne, mal im Scherz und mal im Ernst, doch nie so überzeugt wie an jenem Tag. Ich blieb am Kai stehen, erwiderte das langsame Winken meiner Mutter, die an der Reling stand, bis das Motorboot zwischen abgewrackten Schiffen verschwand. Dann stürzte ich in das Büro von El Heraldo, erregt von dem Verlangen, das mich innerlich zerfraß, und, kaum zu Atem gekommen, begann ich den neuen Roman mit dem Satz meiner Mutter: »Ich bin gekommen, weil ich dich um den Gefallen bitten möchte, mich zum Verkauf des Hauses zu begleiten.«
Meine Schreibmethode damals unterschied sich von der, die
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