Leben um zu lieben (Junge Liebe) (German Edition)
Hörer.
„Yannek?“, fragte Kevin.
Im Hintergrund waren Autos zu hören.
„Ich steh unten an der Straße. Man bekommt hier echt keinen Parkplatz. Komm bitte runter. Bis gleich!“
Ich nickte, obwohl ich mir im selben Moment dämlich vorkam, da es völlig überflüssig war. Ich hörte wie Kevin das Telefonat beendete und legte ebenfalls auf. Hastig griff ich nach meinem Portemonnaie, dem Haustürschlüssel und einer Jacke, um die Wohnung schließlich zu verlassen. Die Haustür zog ich fest hinter mir zu und schloss ab. Für einen Augenblick dachte ich darüber nach, meinen Schreibblock mitzunehmen. Ich entschied mich allerdings dagegen und dachte mir, dass man sich sicherlich auch anderweitig verständigen konnte. Die Vorstellung, mit einem Block am Strand zu sitzen und sich zwischen Flaschen von Alkohol und betrunkenen Mitmenschen damit zu verständigen, bestätigte meine Entscheidung. Erneut stieg so enorme Nervosität in mir auf, dass meine Knie leicht zitterten. Ich gab mir alle Mühe und riss mich zusammen. Immer wieder redete ich mir ein, dass ich zwar eine lange Zeit allein gewesen war, aber dennoch nie das Leben vergessen oder verlernt hatte. Das war wie mit dem Fahrrad fahren. Man konnte jahrelang nicht fahren und würde es trotzdem jeder Zeit können. Es gab Dinge, die nicht zu verlernen waren.
Ich eilte die Treppen hinunter, verließ die Haustür und erblickte schon bald ein schwarzer Wagen, der mit Standlicht etwa fünf Meter von mir entfernt am Straßenrand stand. Ich erkannte Kevin hinter dem Lenkrad und winkte ihm zu, bevor ich mich mit schnellen Schritten in Richtung des Wagens bewegte. Wenn ich nicht über die Situation nachdachte, fühlte sich alles völlig normal und selbstverständlich an. Es war, als hätte es in meinem Leben niemals eine Auszeit gegeben. Doch sobald ich mich mit all meinen Sorgen beschäftigte, fühlte ich mich unwohl und wünschte mir nichts sehnlicher, als zurück in meine Wohnung zu kehren und mich vor dem wahren Leben zu verstecken.
„Hey!“, war Kevins Begrüßung. Er deutete mir an, mich zu setzen.
Das Auto duftete nach Kevins Parfüm. Ein angenehmes Gefühl durchzog meine Glieder. Für einige Sekunden fühlte ich mich wie gelähmt. Ich atmete tief ein und schnallte mich erst daraufhin an.
„Wir fahren nach Schönberg“, erklärte Kevin. „Es werden nur ein paar Freunde von mir da sein. Du brauchst echt keine Angst haben!“ Kevin lächelte mich noch einmal an, bevor er losfuhr und das Radio anschaltete.
„Alkohol habe ich schon besorgt. Ich lad dich heute noch mal ein, aber das nächste Mal bist du dran“, er grinste.
Worte zu hören, die ein weiteres zukünftiges Treffen andeuteten, taten mir gut. Ich lehnte mich in den weichen Sitz zurück und genoss die abendliche Fahrt. Es war noch hell draußen. Nur ein paar vereinzelte Wolken hatten sich vor das Himmelszelt geschoben und trugen dazu bei, den heißen Sommertag etwas abzukühlen.
Die Frage, ob an diesem Abend alle Freunde von Kevin schwul sein würden, machte sich erneut in mir breit. Es dauerte nur einige Kilometer, bis Kevin meinen besorgten Blick bemerkt zu haben schien.
„Ist was?“, fragte er und warf mir während der Fahrt immer wieder kurze Blicke zu. Die Innenstadt hatten wir längst verlassen und befanden uns auf der Schnellstraße, die an die Ostsee zu vielen verschiedenen Stränden führte.
„Machst du dir Sorgen, dass alle schwul sein könnten?“
Ich hatte das Gefühl, dass Kevin Gedanken lesen konnte. Ich nickte und blickte dabei aus dem Seitenfenster, um nicht in Kevins Augen schauen zu müssen.
„Na ja, so ist das eben“, erklärte Kevin. „Es ist zwar nicht immer und überall so. In unserem Fall schon. Weißt du, wenn man anders ist, verachten einen plötzlich Freunde, die man jahrelang gehabt hat. Sie stehen ja auf Frauen und fühlen sich von einem Schwulen in ihrem Umfeld irgendwie bedrängt. Jedenfalls ist das manchmal so. Dafür versteht man sich mit den meisten Frauen ganz gut“, grinste er.
Ich versuchte zu lächeln, doch siegte mehr das mulmige Gefühl in mir, das mich unsicher aussehen ließ.
„Das ist echt nicht immer so, Yannek!“, lachte Kevin, „aber unsere kleine Truppe versteht sich gut so, wie sie ist. Du müsstest dich mal sehen!“ Kevin streckte seine Hand aus und klappte den Sonnenschutz, der sich am oberen Rand der Frontscheibe befand, herunter.
Darin war ein kleiner Spiegel befestigt, der mir die Möglichkeit bot, mich selbst zu sehen. In
Weitere Kostenlose Bücher