Leben um zu lieben (Junge Liebe) (German Edition)
früher war ich außergewöhnlich begabt gewesen, während man heute mehr über mich sprach, als wäre ich außergewöhnlich verrückt. Vielleicht war ich das auch, aber ich fühlte mich wohl so, wie es war. Ich überlegte kurz, ob ich duschen sollte, doch hatte ich das schon aus Langeweile am Abend zuvor getan und entschied mich deshalb dagegen. Ich hatte noch weniger Lust, mich anzuziehen, weshalb ich nur nach dem Bademantel griff und zurück in das Wohnschlafzimmer trottete.
Ein Telefon besaß ich seit dem Unfall natürlich nicht mehr. Wer bräuchte schon einen stummen Gesprächspartner, mal davon abgesehen, dass es niemanden gab, der mich anrufen könnte. Das letzte Kommunikationsmittel, das ich besaß, war mein alter Laptop, der sich auf dem hölzernen Couchtisch befand und mein Leben mit viel Abwechslung füllte. Früher hatte ich selbst immer geglaubt, dass all die Leute, die täglich an ihren Computerbildschirmen klebten, nur einsame, hässliche Menschen waren. Okay, einsam war ich auch und vielleicht hässlich geworden. Aber darüber wollte ich nicht weiter nachdenken.
Ich drückte auf den Einschaltknopf und beschloss mir noch schnell ein Sandwich in der Küche zu machen, während der Computer in seinen typisch langsamen Zügen hochfuhr. Erneut stand ich auf, als wäre es eine Überanstrengung, machte mich auf in die Küche und kehrte mit einem üppig belegten Weißbrot zurück, um mich gleich darauf zurück in die Couch sacken zu lassen. Mein Laptop war bereits startbereit. Schnell tippte ich mein Passwort ein, wartete einen letzten Moment bis ich mich endlich in meinem wohlbekannten Menü befand und auf den Internetbutton klickte. Doch während das Fenster geladen wurde, fiel mir ein, dass ich für den neuen Tag noch keinen Strich an der Wand gezogen hatte. Wieder eine meiner vielen Macken, die ich teils selbst nicht verstand. Eine meiner Zimmerwände glich mehr der einer Gefängnismauer. Ich zog für jeden Tag einen Strich, wobei jeder fünfte vier von ihnen diagonal durchzog. Ich lehnte mich in meiner Couch zurück, griff nach dem neben dem Computer liegenden Bleistift und zog einen festen, deutlichen Strich. Zufrieden blickte ich auf mein eigenes Kunstwerk an der weißen Kalkwand und machte mich dann an meine E-Mails. Da es niemanden gab, der mir schrieb, schickte ich mir ab und zu selbst einige Grußkarten, interessante Links oder Nachrichten. Heute ging ich allerdings mit einer leeren Mailbox aus.
Der nächste Schritt war ein Chat, eigentlich der Chat. Es gab so viele Themen in den verschiedensten Räumen, die von Besenkammer bis Zeltlager benannt waren. Ich scherte mich nie ums selbst Schreiben oder Chatten. Das, was ich am liebsten tat, war einen der vielen Räume zu betreten und die Gespräche, die Handlungen und die Reaktionen der verschiedenen Menschen zu beobachten. Teils konnte man je nach Raumwahl viel lachen, sich über die Dummheit vieler ärgern oder einfach nur in weiteren Gedanken versinken.
Ich loggte mich mit meinem Nickname ‚Sokrates’ ein, musste noch einmal aufgrund des lächerlichen Namens grinsen, und betrat schließlich den Raum Wolke 7 . Welch eine dämliche Benennung, doch wollte ich mich an diesem Tag wieder über die Smalltalks anderer amüsieren und dazu war dieser Chat mit seinen minderjährigen Mädchen und den sexsüchtigen Jungs geradezu perfekt. Der Chatraum war wie immer mit etlichen von Chattern gefüllt und somit konnte ich mich entspannt zurücklehnen und mich auf die im Sekundentakt erscheinenden Kurznachrichten konzentrieren. Mir viel sofort ein rot markierter Name auf, der sich ausgiebig mit einem nur in schwarz gehaltenem Namen unterhielt. Wie ich schnell bemerkte, redeten sie von der großen Liebe und ob es sie tatsächlich gab. Der in einem schwarzen Ton gehaltene ‚Delphin’ war fester Überzeugung, dass das Leben aus Kurzbeziehungen bestand. Während der rote Nickname ‚Lonely’ noch die große Liebe zu suchen schien. Daraus schloss ich, dass ‚Delphin’ der männliche und ‚Lonely’ die weibliche Person war. Es gab in diesem Raum kaum Gespräche zwischen Gleichgeschlechtlichen. Dafür waren noch immer andere Räume da, die ich aber lieber nie zu betreten gewagt hatte.
Meine Pupillen flogen über die Zeilen, bis ‚Delphin’ schrieb, dass es eigentlich keine Liebe gäbe und dieses Gefühl bloß Einbildung sei. Alles bestehe angeblich aus Abhängigkeit voneinander.
Ich wusste in diesem Moment nicht, was in mich fuhr, doch legte ich meine
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