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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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verfolgen wir hierauf die Küste von Ost- und Westbothnien bis Carelien hinab und so fort durch all die Staaten und Provinzen, welche an den Golf von Finnland und den nordöstlichen Theil des baltischen Meeres grenzen, bis Petersburg und betreten wir dann Ingrien; von da wenden wir uns durch die nördlichen Theile des russischen Reichs, wobei wir Sibirien ein wenig links liegen lassen, bis wir in das Herz Rußlands und die asiatische Tatarei gelangt sind.
    Nun werden Sie auf der langen Tour, die ich Sie führte, bemerkt haben, daß die guten Leute hier weit besser daran sind, als in den Polargegenden, die wir eben verlassen haben; – denn wenn Sie die Hand über die Augen halten und aufmerksam zusehen, so werden Sie einen kleinen Schimmer von Witz nebst einem erfreulichen Vorrath von gutem gesundem Hausverstand bemerken, womit sie es, Qualität und Quantität zusammengenommen, recht gut umtreiben; – und hätten sie von dem Einen oder dem Andern mehr, so würde das richtige Gleichgewicht zwischen ihnen gestört; überdies bin ich überzeugt, es würde ihnen an Gelegenheit fehlen, sie anzubringen.
    Wenn ich den geneigten Leser nun auf diese wärmere und üppiger ausgestattete Insel zurückführe, wo er die Hochfluth unseres Bluts und Humors wahrnehmen kann; wo wir mehr Ehrgeiz und Stolz, Neid und Wollust und andere böse Leidenschaften zu zähmen und der Vernunft zu unterwerfen haben, – so wird er bemerken, daß die Höhe unseres Witzes und die Tiefe unseres Verstandes genau im Verhältniß zu der Länge und Breite unserer Nothdurft steht; – und deshalb hat man sie uns auch in jener anständigen und achtbaren Fülle zukommen lassen, daß Niemand auf den Gedanken kommen kann, er habe Ursache sich zu beklagen.
    Man muß hiebei übrigens zugeben, daß, da unsere Luft in einem Tag zehen Mal heiß und kalt, naß und trocken ist, wir jene Eigenschaften nicht in einer regelmäßigen, geordneten Weise besitzen; – so daß man manchmal fast ein halbes Jahrhundert lang sehr wenig Witz oder Verstand bei uns sieht oder hört; – die kleinen Kanäle dieser Gaben scheinen dann vollkommen versiegt; – auf einmal brechen aber die Schleußen auf und es stürzt daher wie wüthend – es sieht aus, als lasse es sich gar nicht mehr stopfen; – und dann geschieht es, daß wir im Schreiben und Fechten und zwanzig anderen wackeren Dingen die ganze Welt vor uns hertreiben.
    Diese Beobachtungen und ein vorsichtiges Schließen nach Analogien in derjenigen Art der Beweisführung, welche Suidas die dialektische Induction nennt, – haben mich in den Stand gesetzt, folgenden Satz als höchst wahr und richtig aufzustellen:
    Es dürfen so viele Ausstrahlungen dieser beiden Lichtkörper von Zeit zu Zeit uns beglücken, als Er bei seiner unendlichen Weisheit, die Alles im rechten Maß und Gewichte vertheilt, für gerade recht hält, um unsern Weg in dieser Nacht unserer Dunkelheit zu erleuchten. Jetzt wird der hochverehrte Leser auch heraus finden, und es ist auch keinen Augenblick länger in meiner Macht es ihm zu verhehlen, daß der warme Wunsch zu seinen Gunsten, womit ich begonnen habe, nichts weiter war als das erste gewinnende: Wie geht's? – eines schmeichlerischen Vorwortschreibers, womit er seinem Leser in einer heftigen Umarmung den Mund stopfen will, wie es ein Liebhaber oft bei einer spröden Geliebten probirt. Denn ach! könnte jener Lichterguß nur so leicht gewonnen werden, wie die Vorrede es wünschte! – Aber ich zittere bei dem Gedanken, wie viele tausende in Nacht wandelnde Pilger (wenigstens in den gelehrten Wissenschaften) deshalb in der langen Nacht ihres Lebens herumtappen und herumstolpern mußten! – wie sie ihre Köpfe gegen Pfosten schlugen und sich das Gehirn heraus fielen, ohne je an das Ende ihrer Wanderung zu gelangen; – wobei einige mit ihren Nasen senkrecht in Gruben stürzten; – andere mit den Schweifen horizontal in Gossen fielen; – hier die eine Hälfte einer gelehrten Profession direct gegen die andere anrannte, wobei sie dann wie Schweine im Koth übereinander purzelten und rollten; – dort die Brüder eines anderen Berufs, die eigentlich einander feindlich hätten entgegentreten müssen, im Gegentheil wie eine Heerde wilder Gänse alle in der gleichen Richtung und Reihe dahinflatterten! Welche Verwirrung! welche Mißgriffe! – Geiger und Maler, die nach dem Auge, nach dem Ohr urtheilten – wundervoll! – die auf die erregten Leidenschaften bauten – sei es mittelst einer Melodie oder

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