Leben und Schicksal
hohen Halbdämmer Männer in wattierten Jacken hin und her, fielen widerhallend Schüsse, sprang rasch eine Flamme auf, war die Luft halb von Qualm und halb von Nebel eingetrübt.
Divisionskommandeur Gurjew hatte die Regimentsgefechtsstände in den Schmelzöfen eingerichtet. Krymow dachte einen Augenblick lang, dass die Männer, die da in den Öfen saßen, in denen noch vor kurzem Stahl gekocht wurde, von einem besonderen Schlag sein mussten – ihre Herzen mussten aus Stahl sein.
Hier waren bereits die Schritte deutscher Stiefel zu vernehmen und Kommandoschreie, aber auch das gedämpfte Klicken und Klirren, wenn die Deutschen ihre Maschinenpistolen mit den hornförmigen Magazinen nachluden.
Als Krymow, den Kopf zwischen den Schultern, durch die Feuertür in den Ofen hineinkroch, in dem sich der Gefechtsstand des Schützenregimentskommandeurs befand, und an den Händen die selbst nach einigen Monaten noch nicht ganz ausgekühlte Wärme spürte, die sich in dem feuerfesten Stein verborgen hielt, überkam ihn eine gewisse Scheu – es schien ihm, als würde sich ihm jetzt das Geheimnis des großen Widerstands eröffnen.
Im Halbdämmer machte er einen kauernden Mann aus, sah sein breites Gesicht, hörte eine angenehme Stimme: »Da haben wir ja einen Gast in unserem Facettenpalast. Seien Sie willkommen. Wie wär’s mit einem Zehntelchen Wodka und einem harten Ei als Sakuska?«
Krymow ging durch den Kopf, dass er wohl niemals Jewgenia Nikolajewna erzählen würde, wie sehr er an sie gedacht hatte, als er in die Stalingrader Martinshöhle hineingekrochen war. Früher hatte er sie um jeden Preis loswerden, sie vergessen wollen. Doch jetzt hatte er sich damit abgefunden, dass sie ihm unablässig folgte. Da war sie auch in den Ofen gekrochen, die Hexe, man konnte sich einfach nicht vor ihr verstecken.
Natürlich, es war ja alles sonnenklar. Wer brauchte schon einen Stiefsohn der Zeit? Zu den Invaliden, zur Verseifung, zu den Rentnern mit ihm! Ihr Weggang hatte die ganze Hoffnungslosigkeit seines Lebens bestätigt – selbst hier, in Stalingrad, gab es für ihn keine echte militärische Aufgabe.
Abends nach seinem Referat unterhielt sich Krymow in ebendieser Werkshalle mit General Gurjew. Gurjew saß ohne Uniformjacke da, ab und zu wischte er sich sein rotes Gesicht mit dem Taschentuch ab; mit lauter, heiserer Stimme bot er Krymow Wodka an und schrie zugleich die Befehle für seine Regimentskommandeure ins Telefon; mit derselben lauten, heiseren Stimme fuhr er den Koch an, der es nicht verstanden hatte, einen Schaschlik nach allen Regeln der Kochkunst zuzubereiten, und telefonierte dann seinen Nachbarn Batjuk an, um ihn zu fragen, ob er Zeit hätte, oben auf dem Mamajew-Hügel eine Runde Domino zu spielen.
»Die Leute bei uns sind im Allgemeinen in Ordnung«, sagte Gurjew, »Batjuk ist ein gescheiter Kerl; General Scholudew in der Traktorenfabrik ist ein uralter Freund von mir. Der Oberst Gurtjew auf den ›Barrikaden‹ ist auch ein netter Bursche, aber er ist schon wirklich zu enthaltsam, hat dem Wodka gänzlich abgeschworen. Das ist natürlich falsch.«
Dann begann er Krymow zu erklären, dass kein anderer nur noch so wenige Bajonette habe wie er; dass man zu keinem so schwierig übersetzen könne wie zu ihm – ein Drittel müsse manchmal verwundet von den Motorschiffen geborgen werden; höchstens Gorochow in Rynok sei noch genauso schlecht dran.
»Gestern hat Tschuikow meinen Stabschef Schuba zu sich beordert, irgendwas stimmte nicht bei seiner Berichtigung der vordersten Linie, da kam mein Oberst Schuba ganz geknickt zurück.«
Er sah Krymow eine Weile an und sagte dann: »Glauben Sie, ich hätte ihm den Kopf gewaschen?«, und lachte. »Was ist schon so eine Abreibung? Jeden Tag wasche ich ihm den Kopf. Die Zähne hab ich ihm ausgeschlagen, die ganze vordere Reihe.«
»Ja«, sagte Krymow gedehnt. Dieses »ja« drückte aus, dass die Achtung vor der Menschenwürde auf dem Stalingrader Abhang offenbar nicht immer Vorrang hatte.
Dann erging sich Gurjew in Überlegungen, warum die Journalisten so schlecht über den Krieg schrieben.
»Die warten in Sicherheit ab, die Hundesöhne, selber sehen sie nichts, sitzen jenseits der Wolga in der hintersten Etappe und schreiben. Wer sie am besten bewirtet, über den schreiben sie. Lew Tolstoi dagegen hat ›Krieg und Frieden‹ geschrieben. Das ist ein Buch, das haben die Leute schon hundert Jahre lang gelesen und werden es noch hundert Jahre lang lesen. Und warum? Weil
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