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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Feldstützpunkten in der gleichen Weise abgehalten wurde wie in den Fabriken. Hier saßen jedoch keine Weber, Bäcker oder Schneider beisammen, und nicht über Getreide und Dreschertrag wurde gesprochen.
    Bulatow erzählte, wie er, als er einen Deutschen eng umschlungen mit einer Frau auf der Straße habe gehen sehen, die beiden gezwungen habe, sich auf den Boden zu werfen, und wie er sie, bevor er sie tötete, etwa dreimal habe aufstehen und sich wieder hinwerfen lassen, während er zwei bis drei Zentimeter vor ihren Füßen durch Kugeleinschläge kleine Staubwölkchen aufgewirbelt habe.
    »Ich hab ihn umgelegt, als er sich über sie beugte, so lagen sie dann über Kreuz auf der Straße.«
    Bulatow erzählte seine Geschichte träge; und es war eine so schreckliche Geschichte, wie sie Soldaten sonst nie erzählen.
    »He, Bulatow, gib doch nicht so an«, unterbrach ihn Saizew.
    »Ich gebe nicht an«, sagte Bulatow verständnislos. »Nach meiner Rechnung waren es heute achtundsiebzig. Der Genosse Kommissar lässt keinen Schwindel zu, hier – seine Unterschrift.«
    Krymow hätte sich gern in das Gespräch eingemischt und gesagt, dass unter den von Bulatow niedergestreckten Deutschen doch auch Arbeiter, Revolutionäre und Internationalisten hätten sein können. Das müsse man doch im Auge behalten, sonst könne man ja leicht zum Chauvinisten werden. Doch Nikolai Grigorjewitsch schwieg. Diese Gedanken taugten nicht für den Krieg, sie stärkten nicht den Kampfgeist, sondern schwächten ihn eher.
    Der lispelnde weißblonde Solodki erzählte, wie er gestern acht Deutsche getötet habe. Dann setzte er hinzu: »Also, ich selbst bin Bauer von einer Kolchose bei Umansk. Die Faschisten haben in meinem Dorf großes Unheil angerichtet. Ich selbst hab ganz schön Blut verloren – war dreimal verwundet. Da hab ich eben die Kolchose an den Nagel gehängt und bin Scharfschütze geworden.«
    Der mürrische Tokarew erklärte, dass man sich am besten eine Stelle an der Straße aussuchen solle, auf der die Deutschen zum Wasserholen und zu den Küchen gingen; dann fügte er wie beiläufig hinzu: »Meine Frau schreibt, dass vor Moschaisk viele in der Gefangenschaft umgekommen sind. Den Sohn haben sie mir umgebracht, weil ich ihn Wladimir Iljitsch genannt habe.«
    Chalimow erzählte aufgeregt: »Ich beeile mich nie; ich schieße erst, wenn ich richtig wütend bin. Ich kam an die Front, mein Freund war Sergeant Gurow, ich brachte ihm Usbekisch bei und er mir Russisch. Der Deutsche hat ihn umgelegt; dafür hab ich zwölf erledigt. Hab einem Offizier den Fernstecher abgenommen und mir um den Hals gehängt. Befehl ausgeführt, Genosse Politruk.«
    Schrecklich waren diese Abrechnungen der Scharfschützen über ihre Tagesleistungen. Sein ganzes Leben lang hatte Krymow die gebildeten Waschlappen verlacht; Jewgenia Nikolajewna und Strum hatte er verspottet, als sie sich über die Leiden der Entkulakisierten zur Zeit der Kollektivierung entsetzten. Über die Ereignisse des Jahres 1937 hatte er zu Jewgenia Nikolajewna gesagt: »Es ist nicht schlimm, wenn sie die Feinde vernichten, die kann von mir aus der Teufel holen, schrecklich ist es, wenn sie die eigenen Leute umbringen.«
    Jetzt hätte er gern sagen wollen, dass er stets, ohne zu zögern, bereit gewesen sei, die weißgardistischen Schurken, das menschewikische und sozialrevolutionäre Gesindel, die Popen und Kulaken zu vernichten, dass sich in seinem Herzen niemals auch nur eine Spur von Mitleid für die Feinde der Revolution geregt habe, dass man sich jedoch nicht darüber freuen dürfe, dass man in einem Aufwasch mit den Faschisten auch deutsche Arbeiter töte. Diese Berichte waren grauenvoll, mochten die Scharfschützen auch noch so gut wissen, für welches Ziel sie ihre Arbeit verrichteten.
    Saizew fing an, von seinem mehrtägigen Wettkampf mit einem deutschen Scharfschützen am Fuß des Mamajew-Hügels zu erzählen. Der Deutsche wusste, dass Saizew ihm auf den Fersen war, und war selbst hinter Saizew her. Sie schienen beide ungefähr ebenbürtige Gegner zu sein und konnten einander nicht bezwingen.
    »An dem Tag hatte er drei von uns niedergemacht, ich aber sitze in meinem Unterstand, keinen einzigen Schuss hab ich abgegeben. Da feuert er seinen letzten Schuss ab, keiner war danebengegangen, der Soldat fällt um, liegt auf der Seite, den Arm seitlich ausgestreckt. Da kommt aus ihrer Richtung ein Soldat mit einem Papier, ich sitz noch immer da, schaue nur … Er aber – das ist mir klar

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