Leben und Schicksal
Reisen zu dieser Armee galten unter den Stabsangehörigen als besonders unangenehm; sie scheuten den Mangel an Wasser und Unterkünften, die schlechte Versorgung, die großen Entfernungen und die erbärmlichen Straßenverhältnisse. Das Kommando hatte keine genauen Nachrichten über die Verfassung der Truppen, die sich im Sand zwischen der kaspischen Meeresküste und der kalmückischen Steppe verloren hatten. So hatte die Heeresführung Darenski in diesen Bezirk entsandt und reichlich mit Aufträgen eingedeckt.
Nachdem er Hunderte von Kilometern durch die Steppe zurückgelegt hatte, spürte Darenski, wie er von Trübsal überwältigt wurde. Hier machte sich niemand Gedanken über einen Angriff; die Lage der Truppen, die von den Deutschen ans Ende der Welt gejagt worden waren, schien aussichtslos.
Hier merkte man keine Spur von der im Stab Tag und Nacht unvermindert herrschenden Spannung, vom Rätselraten über die Länge der Zeitspanne bis zum Angriff, vom Anmarsch der Reserveverbände, von den Telegrammen und Chiffrierungen, von der Arbeit der Frontnachrichtenzentrale rund um die Uhr, vom Dröhnen der von Norden anrollenden Auto- und Panzerkolonnen. Hatte er das alles nur geträumt?
Während er den resignierten Gesprächen der Kommandeure der Artillerie und der allgemeinen Truppeneinheiten zuhörte, Daten über den Zustand des Geräts sammelte und prüfte, die Artilleriedivisionen und -batterien inspizierte, die finsteren Gesichter der Rotarmisten und Kommandeure betrachtete und zusah, wie sich die Leute langsam und träge durch den Steppenstaub fortbewegten, überließ sich Darenski allmählich dem eintönigen Trübsinn dieser Standorte. So weit war es mit ihm gekommen, dachte er, dorthin, in die Kamelsteppen, zu den wandernden Sanddünen war Russland geraten, da lag es entkräftet auf feindselig abweisender Erde darnieder, und keine Hoffnung bestand mehr, dass es sich jemals wieder erheben und aufrichten würde.
Darenski kam im Armeestab an und wurde zum Oberkommando befohlen.
In dem geräumigen, schummrigen Zimmer spielte ein kräftiger junger Mann mit wohlgenährtem Gesicht und schütter werdendem Haar, der nur ein Feldhemd ohne Rangabzeichen trug, mit zwei Frauen in Uniform Karten. Als der Oberstleutnant eintrat, unterbrachen der junge Mann und die Frauen, zwei Leutnants, das Spiel nicht, sondern fuhren nach einem zerstreuten Blick auf ihn fort, verbissen zwischen den Zähnen hervorzustoßen:
»Vorhand oder Volte?«
Darenski wartete ab, bis alle Karten ausgeteilt waren, und fragte dann: »Ist hier der Armeeoberbefehlshaber stationiert?«
Eine der jungen Frauen antwortete: »Er ist an die rechte Flanke gefahren und wird erst am Abend wieder zurück sein.« Sie musterte ihn mit dem erfahrenen Blick einer Armeeangehörigen und fragte: »Sie sind wahrscheinlich aus dem Frontstab, Genosse Oberstleutnant?«
»Jawohl«, antwortete Darenski und fragte, wobei er kaum merklich mit den Augen zwinkerte: »Entschuldigen Sie bitte, könnte ich dann vielleicht das Mitglied des Kriegsrats sprechen?«
»Er ist mit dem Befehlshaber weggefahren und wird erst am Abend zurück sein«, antwortete die zweite Frau und fragte: »Sind Sie vielleicht aus dem Artilleriestab?«
»Jawohl«, erwiderte Darenski.
Die Erste, die über den Befehlshaber Auskunft gegeben hatte, erschien Darenski besonders interessant, obwohl sie offenbar bedeutend älter war als die, die über das Mitglied des Kriegsrats Auskunft gegeben hatte. Es gibt Frauen, die manchmal sehr schön, manchmal jedoch, bei einer zufälligen Kopfbewegung, plötzlich welk, gealtert und uninteressant wirken. Und diese da, die er jetzt vor sich hatte, war von diesem Schlag, mit einer geraden, schönen Nase und blauen, abweisenden Augen, die davon sprachen, dass sie genau über ihren eigenen Wert und den anderer Leute Bescheid wusste.
Ihr Gesicht wirkte besonders jung – na, gib ihr vielleicht fünfundzwanzig Jahre, mehr nicht –, aber kaum zog sie die Brauen zusammen und dachte nach, wurden die Fältchen in den Mundwinkeln sichtbar und die schlaffe Haut unter dem Kinn, und man konnte sie für mindestens fünfundvierzig halten. Aber die Beine in den nach Maß gefertigten Chromlederstiefeln waren wirklich hübsch.
Alle diese Details, mit denen man sich ziemlich lange aufhalten könnte, hatte Darenski mit erfahrenem Blick sofort erfasst.
Die Zweite war jung, jedoch in die Breite gegangen und füllig; alles an ihr war, für sich genommen, nicht besonders schön – die
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