Leben und Schicksal
fettigen Haare, die breiten Backenknochen, die Augen von unbestimmbarer Farbe –, doch sie war jung und sehr feminin, und zwar so feminin, dass wohl auch ein Blinder, hätte er sich neben ihr befunden, ihre Weiblichkeit hätte empfinden müssen.
Auch das bemerkte Darenski sogleich, innerhalb einer Sekunde.
Mehr noch, innerhalb dieser einen Sekunde wog er auch die Vorzüge der Ersten gegen die der Zweiten ab. So traf er diese Wahl, die keine praktischen Folgen nach sich zieht und die Männer fast immer treffen, wenn sie Frauen betrachten. Darenski, der sich Gedanken machte, wie er den Befehlshaber finden sollte und ob der ihm die benötigten Daten herausrücken würde, wo er zu Mittag essen und sein Nachtlager aufschlagen würde, ob der Weg zur Division weit und beschwerlich sein würde, schaffte es tatsächlich, irgendwie von selbst und ganz beiläufig und zugleich doch nicht so ganz beiläufig zu denken: »Diese da!«
Es ergab sich, dass er nicht sofort zum Stabschef der Armee ging, um die notwendigen Informationen einzuholen, sondern dablieb und Schafkopf spielte.
Während des Spiels – er war der Partner der blauäugigen Frau – klärten sich eine Menge Fragen: Seine Partnerin hieß Alla Sergejewna, die Zweite, die Jüngere, arbeitete in der Verbandsstelle des Stabes, der junge Mann mit dem Vollmondgesicht ohne militärischen Rang hieß Wolodja, war offenbar mit irgendjemandem aus dem Kommando verwandt und arbeitete als Koch in der Kantine des Kriegsrats.
Darenski spürte sofort, dass Alla Sergejewna sehr mächtig war; das konnte man aus dem fast ehrerbietigen Tonfall heraushören, mit dem die Leute sie begrüßten, wenn sie das Zimmer betraten. Aller Wahrscheinlichkeit nach war der Armeeoberbefehlshaber ihr gesetzlicher Ehemann und nicht, wie Darenski zunächst vermutet hatte, ihr Geliebter.
Er begriff nicht recht, wieso Wolodja so vertraut mit ihr war. Doch dann kam plötzlich Licht ins Dunkel: Wolodja war der Bruder der ersten Frau des Befehlshabers. Natürlich blieb dabei noch unklar, ob die erste Frau noch lebte oder ob der Befehlshaber offiziell von ihr geschieden war.
Die junge Frau, Klawdia, lebte offenbar in wilder Ehe mit dem Mitglied des Kriegsrats. Im Umgang mit ihr legte Alla Sergejewna eine gewisse herablassend arrogante Haltung an den Tag: Natürlich, wir spielen zusammen Schafkopf, wir duzen uns, doch das erfordern eben die Interessen des Krieges, an dem wir beide teilnehmen.
Doch auch an Klawdia bemerkte man ein Gefühl der Überlegenheit über Alla Sergejewna. Darenski deutete es ungefähr so: Obwohl ich nicht offiziell getraut bin, sondern nur eine Kriegsliebe, so bin ich doch meinem Mitglied des Kriegsrats treu; über dich aber, obwohl du gesetzlich getraut bist, ist uns doch so allerhand bekannt. Probier’s nur, nenn mich mal »Pepesche«!
Wolodja machte kein Hehl daraus, wie sehr ihm Klawdia gefiel. Er schien zu sagen: Meine Liebe ist hoffnungslos, wie könnte ich’s denn – ich, ein Koch – mit einem Mitglied des Kriegsrats aufnehmen … aber … obwohl ich nur ein Koch bin, so liebe ich dich doch in reiner Liebe, du selbst fühlst es – wenn ich nur in deine schönen Augen schauen darf; das aber, wofür dich das Mitglied des Kriegsrats liebt, das ist mir völlig gleichgültig.
Darenski spielte schlecht Schafkopf, und Alla Sergejewna nahm ihn in ihre Obhut. Der hagere Oberstleutnant gefiel ihr: Er sagte »ich danke Ihnen«, murmelte »verzeihen Sie bitte«, wenn sich ihre Hände beim Kartenausteilen berührten; bekümmert betrachtete er Wolodja, wenn der sich die Nase mit den Fingern schnäuzte und diese dann mit einem Taschentuch abwischte; er lächelte höflich über die Witze der andern und erzählte selbst welche.
Auf einen von Darenskis Scherzen hin sagte Alla Sergejewna: »Ja, richtig, ich hab’s nicht gleich kapiert. In diesem Steppendasein hier ist mir der Verstand eingetrocknet.«
Sie sagte dies in gedämpftem Ton, als wolle sie ihm zu verstehen, besser gesagt, zu spüren geben, dass sich zwischen ihnen ein eigenes Gespräch, an dem nur sie beide teilhatten, anspinnen könnte, das Gespräch, bei dem einem kalte Schauer den Rücken hinunterlaufen, jenes besondere Gespräch, das als einziges zwischen Mann und Frau zählt.
Darenski fuhr fort, Fehler zu machen, sie verbesserte ihn, zugleich entwickelte sich ein anderes Spiel zwischen ihnen; in diesem Spiel machte Darenski keine Fehler mehr, dieses Spiel beherrschte er bis in die feinsten Nuancen … Obgleich
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