Leben und Schicksal
Haus haben würde, ein schönes Haus mit Garten.
War es wirklich endgültig? Fürs ganze Leben?
Sie wusste selbst nicht warum, aber sie wollte Nowikow unbedingt klarmachen, dass Krymow ein kluger, begabter Mensch sei, dass sie an ihn gebunden sei, ja dass sie ihn liebte. Sie wollte nicht, dass er auf Krymow eifersüchtig sei, und tat doch alles, um seine Eifersucht herauszufordern; und nun erzählte sie ausgerechnet ihm, und nur ihm allein, was Krymow einst ihr und nur ihr allein anvertraut hatte, nämlich Trotzkis Worte: »Hätte seinerzeit irgendjemand außer mir von diesem Vorfall gewusst, Krymow hätte das Jahr 1937 kaum überlebt.« Ihr Gefühl für Nowikow verlangte rückhaltloses Vertrauen, und so lieferte sie ihm das Schicksal des Mannes aus, dem sie so wehgetan hatte.
In ihrem Kopf jagten sich die Gedanken, sie dachte an morgen, an heute, an gestern, war überglücklich, dann wieder beschämt, beunruhigt, traurig und ängstlich. Ihre Mutter, ihre Schwestern, Neffen, Vera, ach, wie viele Menschen berührte die Veränderung in ihrem Leben! Wie würde Nowikow sich wohl mit Limonow vertragen, was würde er von ihren Gesprächen über Dichtung und Malerei halten? Er würde sich nicht schämen, selbst wenn er nichts von Chagall und Matisse wusste … Er war stark, stark, stark. Sie hatte sich ihm unterworfen. Der Krieg würde zu Ende gehen. Würde sie Nikolai denn wirklich nie wiedersehen? … Ach Gott, ach Gott, was hatte sie angerichtet … Nicht daran denken, nicht jetzt … Wer wusste schon, was die Zukunft in sich barg.
»Jetzt merke ich erst, dass ich dich eigentlich gar nicht kenne – im Ernst, du bist für mich ein Fremder. Das Haus, der Garten, was soll das alles? Meinst du das denn ernst?«
»Wenn es dir lieber ist, kann ich nach dem Krieg auch den Dienst quittieren und als Vorarbeiter auf den Bau gehen, irgendwohin nach Ostsibirien. Dann wohnen wir in einer Baracke für verheiratete Arbeiter.«
Er sagte das ganz ernst.
»Müssen wir denn unbedingt verheiratet sein?«
»Ja, unbedingt.«
»Ja, aber warum denn, um alles in der Welt?«, und sie dachte: »Nikolai.«
»Was meinst du mit diesem ›Warum‹?«, rief er erschrocken.
Er hatte gar nicht ernsthaft an die Zukunft gedacht, auch nicht an die Vergangenheit. Er war einfach glücklich. Es machte ihm nicht einmal etwas aus, dass sie sich in wenigen Minuten würden trennen müssen. Er saß neben ihr und schaute sie an … Jewgenia Nikolajewna Nowikowa … Er war glücklich. Es war nicht so wichtig, ob sie klug, hübsch oder jung war. Er liebte sie wirklich. Anfangs hatte er nicht daran zu denken gewagt, dass sie einmal seine Frau werden könnte. Dann hatte er viele Jahre nur davon geträumt. Und auch heute forschte er genauso wie früher voller Demut und Ehrfurcht in ihrem Gesicht nach einem Lächeln, wartete voller Sehnsucht auf ein spöttisches Wort. Aber er sah etwas Neues.
Sie schaute zu, wie er sich fertigmachte, und sagte neckend: »Zeit, zu den meuternden Mannen zurückzukehren und mich den anbrandenden Wogen zu überlassen.«
Beim Abschied merkte Nowikow plötzlich, dass sie doch nicht so stark war. Eine Frau war eben eine Frau, und wenn sie der Herrgott mit noch so viel Verstand und Witz ausgestattet hatte.
»Ach, ich hätte dir noch so viel zu sagen gehabt«, meinte sie.
Aber darauf kam es ja nicht an – das Wichtige, Entscheidende in ihrer beider Leben war während ihrer Begegnung geschehen und hatte feste Gestalt angenommen. Er liebte sie wirklich.
4
Nowikow machte sich auf den Weg zum Bahnhof.
Genia … ihr verwirrtes Flüstern, ihre nackten Füße, ihre zärtlichen Worte, die Tränen beim Abschied, ihre Macht über ihn, ihre Armut und Reinlichkeit, der Duft ihres Haars, ihre rührende Schamhaftigkeit, die Wärme ihres Körpers … seine Schüchternheit, weil er nur ein einfacher Arbeiter und Soldat war, und zugleich sein Stolz darauf, dass er eben ein einfacher Arbeiter und Soldat war.
Nowikow folgte den Gleisen, als plötzlich die heiße Wolke seiner wirren Gedanken von einer spitzen Nadel durchbohrt wurde, der Angst, die jeder Soldat in dieser Situation empfindet: Der Transport könnte ohne ihn abgefahren sein.
Von fern schon sah er die Flachwagen mit den kantigen Panzern, deren stählerne Muskeln sich unter den Zeltbahnen abzeichneten, die Wachposten mit ihren schwarzen Helmen, die weißen Vorhänge in den Fenstern des Stabswaggons.
Er kletterte an dem salutierenden Posten vorbei in den Waggon..
Adjutant Werschkow
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