Leben und Schicksal
Buchweizenkörner färbten sich in der Wärme violett und blau. Kalter Schweiß trat aus ihnen aus.
»Wie persischer Flieder«, sagte Genia.
Nowikow probierte den persischen Flieder und dachte: »Pfui Teufel!«
»Das kennt der Herr Oberst wohl auch nicht mehr«, lachte sie wiederum, und er dachte: »Gut, dass ich nicht auf Getmanow gehört und ihr was zu essen mitgebracht habe.«
Er sagte: »Als der Krieg ausbrach, war ich in der Nähe von Brest bei einem Fliegerregiment. Die Piloten bombardierten den Flugplatz, und ich hörte eine Polin schreien: ›Was ist das für einer?‹, und ein polnischer Junge antwortete: ›Ein Russ’.‹ Da habe ich zum ersten Mal ganz deutlich empfunden: Ja, ein Russe, ich bin Russe … Verstehst du – dass ich kein Türke bin, hab ich schon lange gewusst, aber da hab ich erst begriffen, was das heißt, ein Russe zu sein. Erzogen hat man uns ja, weiß Gott, nicht so vor dem Krieg … Heute, jetzt, in diesem Moment, ist der schönste Tag in meinem Leben, ich schau dich an, es ist wie damals: ein russischer Schmerz, ein russisches Glück … Das wollte ich dir sagen …«
Gleich darauf fragte er: »Was hast du?«
Vor ihr war der zerzauste Kopf Krymows aufgetaucht. Mein Gott, hatte sie sich denn für immer von ihm getrennt? Gerade jetzt, in diesen glücklichen Minuten, schien ihr dieser Gedanke unerträglich.
Einen Augenblick hatte es ihr geschienen, als könnte sie diesen heutigen Tag, die Worte dieses heutigen Mannes, der sie geküsst hatte, mit jener früheren Zeit verbinden, als würde sich ihr plötzlich das Geheimnis ihres Lebens erschließen und sie dürfte schauen, was zu schauen den Menschen verwehrt ist – die Tiefe ihres eigenen Herzens, jenen verborgenen Ort, an dem sich das Schicksal des Menschen entscheidet.
»Dieses Zimmer«, sagte sie, »gehört einer Deutschen, sie hat mich aufgenommen. Dort ist ihr engelweißes Bett. Ich bin nie einem harmloseren, hilfloseren Menschen begegnet … Es ist seltsam, wir führen Krieg mit den Deutschen, und ich bin überzeugt, dass sie der beste Mensch in der ganzen Stadt ist. Seltsam, nicht?«
»Kommt sie bald nach Hause?«, fragte er.
»Nein, sie kommt nicht mehr. Sie ist verbannt worden.«
»Na, Gott sei Dank«, sagte Nowikow erleichtert.
Genia wollte ihm von dem Mitleid erzählen, das sie für Krymow empfand, den Mann, den sie verlassen hatte, der niemanden mehr hatte, an den er schreiben konnte, keinen Menschen, zu dem es ihn hinzog, der ohne Hoffnung war und einsam.
Und sie hatte auch das Verlangen, ihm von Limonow zu erzählen, von Schargorodski und von dem Neuen, Eigenartigen, Unverständlichen, das sie mit diesen Menschen verband. Und sie wollte ihm von Jenny Genrichowna erzählen, wie sie früher die komischen Aussprüche der kleinen Schaposchnikows aufschrieb und dass die Heftchen mit diesen Notizen dort auf dem Tisch lägen, dass man sie lesen könnte. Sie wollte ihm von der Geschichte mit der Anmeldung erzählen und vom Chef der Passstelle. Aber sie hatte noch kein Zutrauen zu ihm, scheute sich, ihm Dinge zu sagen, die ihn vielleicht gar nicht interessierten.
Plötzlich war ihr, als erlebe sie den Bruch mit Krymow noch einmal. In der Tiefe ihres Herzens hatte sie sich immer an die Vorstellung geklammert, das Geschehene sei wiedergutzumachen, das Vergangene zurückzuholen. Das hatte sie beruhigt. Jetzt, als sie spürte, dass sich eine neue Kraft ihrer unaufhaltsam bemächtigte, begann sie der Gedanke zu beunruhigen, dass der Bruch vielleicht doch endgültig, unwiderruflich war. Armer, armer Krymow. Warum musste er so viel leiden?
»Was soll denn nun werden?«, fragte sie schließlich.
»Jewgenia Nikolajewna Nowikowa«, sagte er einfach.
Sie musste lachen und sah ihn forschend an.
»Du bist mir doch noch völlig fremd. Wer bist du denn?«
»Das weiß ich nicht. Aber du, du bist für mich Jewgenia Nikolajewna Nowikowa.«
Sie war nicht mehr Herr der Lage. Sie schenkte ihm Tee nach und fragte: »Noch Brot?«
Plötzlich sagte sie: »Wenn Krymow irgendetwas zustößt, wenn sie ihn zum Krüppel machen oder einsperren, dann geh ich zu ihm zurück. Das sag ich dir gleich.«
»Warum sollten sie ihn einsperren?«, fragte er kalt.
»Na, er ist doch ein alter Kominternler, sogar Trotzki hat ihn gekannt; er hat einen seiner Artikel einmal ›monumental‹ genannt.«
»Versuch doch, zu ihm zurückzukehren, er wird dich rauswerfen.«
»Das lass nur meine Sorge sein.«
Er sagte ihr, dass sie nach dem Krieg ein großes
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