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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Wissenschaftler und Physiker Markow, Sawostjanow, Anna Naumowna Weißpapier, den Mechaniker Nosdrin, den Elektriker Perepelizyn – und eröffnete ihnen, dass ihre Zweifel an der Exaktheit der Instrumente und Apparate unbegründet seien. Gerade die besondere Exaktheit bei den Messungen habe ja immer wieder zu den gleichen Ergebnissen geführt, sosehr man auch die Versuchsbedingungen verändert habe.
    Strum und Sokolow waren die Theoretiker des Teams; die Versuche im Labor leitete Markow. Er besaß eine erstaunliche Fähigkeit, noch so schwierige experimentelle Probleme zu lösen, und hatte auch auf Anhieb das Prinzip der neuen, komplizierten Apparate erkannt.
    Strum begeisterte die Sicherheit, mit der Markow in wenigen Minuten ein ihm unbekanntes Gerät begriff, ohne irgendwelche mitgelieferten Erklärungen zu Rate zu ziehen, und zwar nicht nur in seinen Grundzügen, sondern in allen Einzelheiten. Er fasste die physikalischen Geräte offenbar als Lebewesen auf; es schien ihm ganz natürlich, sie wie eine Katze daraufhin zu betrachten, wo ihre Augen, ihr Schwanz, ihre Ohren, ihre Krallen waren, den Puls zu fühlen und dann zu sagen, was wozu diente.
    Als sie die neuen Apparate im Labor montiert hatten und als es knifflig wurde, da war Nosdrin, der hochmütige Mechaniker, auf den Plan getreten und hatte die Sache in die Hand genommen. Der blonde, stets vergnügte Sawostjanow hatte einmal lachend über Nosdrin gesagt: »Wenn Stepan Stepanowitsch einmal stirbt, dann wird man seine Hände zur Untersuchung ins Gehirnforschungsinstitut bringen.«
    Aber Nosdrin hatte keinen Sinn für Humor; er behandelte die Wissenschaftler von oben herab, wusste er doch, dass ohne seine kräftigen Arbeiterhände im Labor nichts klappte.
    Der Liebling des Labors aber war Sawostjanow. Ihm fielen theoretische wie praktische Probleme gleichermaßen leicht. Er machte alles mit Humor, schnell und scheinbar mühelos. Seine weizenblonden Haare leuchteten selbst an den düstersten Herbsttagen wie die Sonne. Strum, der Sawostjanow mochte, glaubte, seine Haare seien deshalb so hell, weil auch sein Verstand hell und klar war. Auch Sokolow schätzte Sawostjanow.
    »Ja, mit dem kommen wir Chaldäer und Talmudisten nicht mit«, hatte Strum einmal zu Sokolow gesagt, »wenn wir mal tot sind, wird er Sie und mich und Markow in sich vereinen.«
    Anna Naumowna war das »Arbeitspferd« des Labors; sie hatte eine fast übermenschliche Arbeitskraft und Geduld – einmal hatte sie achtzehn Stunden hintereinander vor dem Mikroskop gesessen, um die einzelnen Schichten der Fotoemulsion zu untersuchen.
    Strum wurde von den Leitern anderer Institutsabteilungen um seine Leute beneidet; es war ein guter Haufen. Strum pflegte dazu zu sagen: »Tja, jeder Chef hat das Team, das er verdient …«
    »Wir haben uns alle aufgeregt und gegrämt«, sagte er jetzt, »heute können wir uns gemeinsam freuen, denn wir wissen nun, dass die akribischen Versuche, die Professor Markow im Verein mit den Mechanikern und den Laboranten durchgeführt hat, einwandfrei waren.«
    Markow räusperte sich und sagte: »Ach bitte, Viktor Pawlowitsch, würden Sie das etwas näher ausführen?«, und leiser fügte er hinzu: »Ich habe gehört, dass die Arbeiten Kotschkurows auf einem angrenzenden Gebiet zu praktischen Hoffnungen Anlass geben und dass überraschend aus Moskau eine Anfrage wegen seiner Ergebnisse eingegangen ist.«
    Markow hörte immer das Gras wachsen. Als das Institut mit dem Zug in die Evakuierung unterwegs war, hatte er mit einer Menge Informationen über die Reise aufwarten können: voraussichtliche Aufenthalte, Lokomotivwechsel und Verpflegungsstationen.
    Der unrasierte Sawostjanow rief in gespielter Besorgnis aus »Ein Anlass für mich, den ganzen Laborspiritus auszutrinken«, und Anna Naumowna, der das Urteil der Allgemeinheit sehr am Herzen lag, sagte: »Na, sehen Sie, wie gut, wo man uns doch bei den Produktionsberatungen und in der Gewerkschaftsleitung bereits alle Todsünden vorgeworfen hat.«
    Der Mechaniker Nosdrin schwieg und strich sich über die hohlen Wangen, während der junge, beinamputierte Elektriker Perepelizyn langsam rot wurde und schließlich, ohne ein Wort zu sagen, seine Krücke polternd zu Boden fallen ließ.
    Für Strum war es ein schöner, glücklicher Tag.
    Morgens hatte ihn der junge Direktor Pimenow angerufen und ihm allerhand Freundlichkeiten gesagt. Pimenow stand kurz vor seinem Abflug nach Moskau, wo die letzten Vorbereitungen für die Reevakuierung

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