Leben und Schicksal
Spitzel ist? Können Sie für ihn bürgen?«
Stattdessen aber sagte er: »Aber wieso denn? Sie reden sich was ein; der Staat bricht doch nicht gleich bei jedem etwas kühneren Wort zusammen. Schade, dass Sie sich mit Madjarow überworfen haben; ich mag ihn, ich mag ihn sogar sehr.«
»Ich finde es ungehörig, dass wir als Russen in dieser für Russland so schweren Zeit an allem Möglichen herumnörgeln«, verteidigte sich Sokolow.
Wieder wollte Strum fragen: »Pjotr Lawrentjewitsch, die Sache ist wirklich ernst, sind Sie sicher, dass Madjarow kein Spitzel ist?«
Doch wieder sagte er stattdessen: »Erlauben Sie, jetzt können wir doch gerade wieder aufatmen. Stalingrad bringt die Wende. Sie haben doch selbst mit mir die Listen für die Rückkehr nach Moskau geschrieben. Und erinnern Sie sich, vor zwei Monaten? Da dachten wir noch an den Ural, an die Taiga, ja, an Kasachstan!«
»Umso weniger«, erwiderte Sokolow, »sehe ich eine Veranlassung, zu unken.«
»Zu unken?«, vergewisserte sich Strum.
»Ja, zu unken.«
»Ja, was ist denn nur los mit Ihnen, Pjotr Lawrentjewitsch«, sagte Strum. Er verabschiedete sich von Sokolow. Eine quälende Unsicherheit lastete auf seiner Seele.
Ihn überkam eine unerträgliche Einsamkeit. Seit dem frühen Morgen hatte er sich das Gespräch mit Sokolow ausgemalt. Er hatte gespürt, dass es eine besondere Begegnung würde, und nun schien ihm alles, was Sokolow gesagt hatte, verlogen und kleinlich.
Doch auch er war nicht aufrichtig gewesen. Das Gefühl der Einsamkeit wurde immer stärker.
Als er auf die Straße hinausging, sprach ihn an der Haustür eine leise Frauenstimme an. Er erkannte sie sofort.
Marja Iwanownas Gesicht, ihre Wangen und Stirn schimmerten im Schein der Straßenlaterne feucht vom Regen. Mit ihrem schäbigen Mantel und dem wollenen Kopftuch sah sie – die Frau eines Professors und Doktors der Wissenschaften – wie das personifizierte Kriegselend aus.
»Wie eine Schaffnerin«, dachte er.
»Wie geht es Ljudmila Nikolajewna?«, fragte sie, und ihre dunklen Augen blickten Strums Gesicht durchdringend an.
Er winkte ab und sagte: »Immer dasselbe.«
»Ich komme morgen etwas früher zu Ihnen«, sagte sie.
»Sie sind ja sowieso ihr Arzt und Schutzengel«, lächelte Strum. »Gut, dass Pjotr Lawrentjewitsch es erlaubt. Er ist ja ein richtiges Kind, kann keine Stunde ohne Sie auskommen, und Sie sind so oft bei Ljudmila.«
Sie schaute ihn immer noch nachdenklich an, so, als höre sie seine Worte, nähme sie aber nicht auf. Schließlich sagte sie: »Sie haben heute ein ganz besonderes Gesicht, Viktor Pawlowitsch Ist Ihnen etwas Gutes widerfahren?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ihre Augen sind anders als sonst«, und überraschend fügte sie hinzu: »Geht es gut mit Ihrer Arbeit, ja? Sehen Sie, und Sie haben schon geglaubt, dass Sie wegen Ihres großen Kummers nicht mehr arbeiten könnten.«
»Woher wissen Sie denn das?«, fragte er und dachte: »Diese Weiber, hat Ljudmila etwa geklatscht?«
»Was sehen Sie denn da in meinen Augen?«, fragte er scherzhaft, um seine Gereiztheit zu verbergen.
Sie schwieg eine Weile und dachte über seine Worte nach, dann sagte sie ernst, ohne auf seinen scherzhaften Ton einzugehen: »In Ihren Augen ist immer Leid, heute aber nicht.«
Plötzlich fing er an, auf sie einzureden: »Marja Iwanowna, es ist alles so seltsam. Sehen Sie, ich fühle, dass ich gerade das Wichtigste in meinem Leben vollbracht habe. Die Wissenschaft ist doch Brot, Brot für die Seele; und das in einer so bitteren, schweren Zeit. Ist es nicht eigenartig? Wie doch im Leben alles durcheinandergeht! Ach, ich würde so gern … Ach was, Unsinn …«
Sie hörte ihm zu, ohne den Blick von seinen Augen zu wenden, und sagte dann leise: »Ich wollte, ich könnte den Kummer von Ihrer Schwelle vertreiben.«
»Danke, liebe Marja Iwanowna«, sagte Strum und verabschiedete sich. Er war plötzlich ganz ruhig, so, als sei sie es gewesen, die er hatte aufsuchen wollen, um ihr alles mitzuteilen.
Einen Augenblick später schritt er schon, ohne noch weiter an die Sokolows zu denken, auf der dunklen Straße dahin. Aus den schwarzen Torwegen zog es kalt an seine Füße, und auf den Straßenkreuzungen zerrte der Wind an den Rockschößen seines Mantels. Strum zog die Schultern hoch, furchte die Stirn und dachte: »Ist es denn möglich, dass meine Mutter nie, niemals von alldem erfahren wird, was ich jetzt erlebe?«
7
Strum versammelte die Mitarbeiter des Labors – die
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