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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Spezial-Zigarrenmarke. Aber sein eigentliches, im Innersten verborgenes Wesen änderte sich von Tag zu Tag und sollte sich bald endgültig wandeln.
    Das Gefühl, Herr der Lage und des Kriegsgeschehens zu sein, hatte ihn verlassen. Noch vor kurzem hatte er die Berichte der Aufklärer im Stab der Armee ganz gelassen überflogen. War es denn nicht gleichgültig, was die Russen sich ausdachten? War es denn wichtig; wie sich ihre Reserveeinheiten bewegten?
    Jetzt dagegen beobachtete Adams, wie sein Chef aus der Mappe mit Berichten und Dokumenten, die er jeden Morgen auf seinen Tisch legte, zuallererst die Mitteilungen der Aufklärer über die nächtlichen Bewegungen der Russen heraussuchte.
    Einmal legte Adams, entgegen der Gewohnheit, diese Berichte zuoberst. Paulus öffnete die Mappe, sah den Bericht, zog seine breiten Augenbrauen hoch und klappte den Ordner wieder zu.
    Oberst Adams begriff, dass er eine Taktlosigkeit begangen hatte. Ein rascher und, wie es schien, gequälter Blick des Generals traf ihn und ließ ihn zusammenzucken.
    Einige Tage später sagte Paulus, nachdem er die nun wieder in der üblichen Reihenfolge vorgelegten Berichte und Dokumente überflogen hatte, lächelnd zu seinem Adjutanten: »Na, Herr Erneuerer, Sie sind offensichtlich ein guter Beobachter.«
    An diesem stillen Herbstabend machte sich Generalmajor Schmidt in Hochstimmung zur Berichterstattung bei Paulus auf Er ging die breite Dorfstraße entlang zum Haus seines Chefs, atmete mit Behagen die kalte Luft ein, die seiner verrauchten Kehle wohltat, und betrachtete den in den dunklen Farben des Sonnenuntergangs erstrahlenden Himmel über der Steppe. Ihm war friedlich zumute, er dachte an Malerei und daran, dass der Schluckauf vom Mittagessen endlich aufgehört hatte, ihn zu plagen. In seinem Kopf jedoch, unter der Mütze mit dem breiten, schweren Schirm, vollzog sich, während er so die abendlich stille Straße entlangging, der Aufmarsch zu der wohl erbittertsten militärischen Auseinandersetzung, die sich im Kampf um Stalingrad ereignen sollte. Das war es übrigens, was er seinem Chef sagte, nachdem dieser ihm einen Stuhl angeboten und sich zum Zuhören bereitgemacht hatte: »Natürlich haben wir in unserer Militärgeschichte schon viel größere Mengen an Material für einen Angriff mobilisiert, aber eine solche Dichte am Boden und in der Luft auf einem so unwichtigen Frontabschnitt musste ich persönlich noch nie herstellen.«
    Paulus saß da mit eingezogenen Schultern, hörte zu und folgte mit hastigen Kopfbewegungen, gar nicht wie ein General, dem Finger seines Stabschefs, der abwechselnd auf Zahlenkolonnen und verschiedene Planquadrate in der Karte deutete. Er hatte diese Offensive geplant. Er selbst hatte ihre Ausdehnung festgelegt, aber als er jetzt seinem brillanten Stabschef lauschte, erkannte er seine Gedanken in den Details der bevorstehenden Operation nicht mehr wieder. Es schien ihm, als seien es nicht mehr seine eigenen, in einen genauen Schlachtplan umgewandelten Vorstellungen, die Schmidt ihm unterbreitete, sondern als wolle umgekehrt Schmidt ihm seine Vorstellungen aufzwingen und gegen seinen, Paulus’, Willen Infanterie, Panzer und Pionierbataillone zum Angriff vorbereiten.
    »Ja, ja, die Dichte«, sagte Paulus. »Sie beeindruckt besonders, wenn man sie mit der Leere auf unserer linken Flanke vergleicht.«
    »Da kann man nichts machen«, erwiderte Schmidt, »es gibt eben zu viel Land im Osten, mehr als deutsche Soldaten.«
    »Das beunruhigt aber nicht nur mich; von Weichs hat mir gesagt: ›Wir haben nicht mit der Faust gekämpft, sondern mit der gespreizten Hand, die wir über die endlose östliche Weite spannen mussten.‹ Es beunruhigt nicht nur von Weichs. Der Einzige, den es nicht beunruhigt …« – Er brach ab.
    Alles lief wie geplant und doch nicht so wie geplant.
    In den letzten Wochen hatte es im Kampfgeschehen zufällige Unklarheiten und böse Wendungen gegeben, die das wahre Wesen dieses Krieges auf eine neue, entmutigende Art zu enthüllen drohten.
    Die Aufklärer berichteten ständig von sowjetischen Truppenkonzentrationen im Nordwesten. Die Luftwaffe konnte sie nicht hindern. Von Weichs hatte an den Flanken der Paulus-Armee keine deutschen Reserven. Er konnte nur versuchen, die Russen zu täuschen, indem er bei den rumänischen Einheiten deutsche Sender einrichtete. Aber das machte die Rumänen noch lange nicht zu Deutschen.
    Der zunächst siegreiche Afrika-Feldzug, die glänzende Abrechnung mit den

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