Leben und Schicksal
verteidigt und verfochten hatte.
Doch nein, nein, auch das genügte nicht! Nicht verurteilen, sondern von ganzem Herzen, mit ganzer revolutionärer Leidenschaft das Lager, die Lubjanka, den blutigen Jeschow, Jagoda, Berija hassen! Ja, und natürlich auch Stalin und seine Diktatur!
Aber nein, es ging noch weiter! Er musste Lenin verurteilen. Dieser Weg führte in den Abgrund!
Das war der Sieg von Liss! Und dieser Sieg war nicht auf dem Schlachtfeld errungen, sondern in einem Krieg, der von diesem Gestapo-Mann nicht mit Waffen, sondern mit Schlangengift gegen ihn geführt wurde.
Einen Augenblick fürchtete er, den Verstand zu verlieren; doch plötzlich atmete er erleichtert auf. Der Gedanke, der ihn einen Augenblick lang mit solch grausamer Heftigkeit überfallen hatte, war zu Staub geworden, erschien ihm nun lächerlich und erbärmlich. Die Versuchung hatte nur wenige Sekunden gedauert, doch wie hatte er auch nur für eine Sekunde, für den Bruchteil einer Sekunde an der Gerechtigkeit der großen Sache zweifeln können?
Liss sah ihn an und kaute an seinen Lippen, während er fortfuhr: »Auf uns blickt man heute mit Abscheu, aber blickt man etwa auf Sie mit Liebe und Hoffnung? Glauben Sie mir, wer auf uns mit Abscheu blickt, der blickt auch auf Sie mit Abscheu.«
Nun hatte das Gespräch für Michail Sidorowitsch seinen Schrecken verloren. Er kannte jetzt den Preis seiner Zweifel. Sie führten nicht in den Sumpf, wie er angenommen hatte, sondern direkt in den Abgrund!
Liss nahm Ikonnikows Blätter in die Hand.
»Warum geben Sie sich mit solchen Leuten ab? Dieser verfluchte Krieg hat alles durcheinandergebracht, alles vermischt. Ach, wenn ich nur imstande wäre, diese Verwirrung zu klären.«
»Da ist gar keine Verwirrung, Herr Liss«, dachte Mostowskoi. »Es ist alles ganz einfach und klar. Nicht im Verein mit Ikonnikow und Tschernezow haben wir Sie bezwungen; wir sind stark genug, um allein mit euch und mit denen fertig zu werden.«
Mostowskoi erkannte nun, dass Liss alles Dunkle in sich vereinigte; und Schutthalden haben immer den gleichen Geruch, aller Schutt aus Holz und Ziegeln riecht gleich. Nicht im Schutt darf man nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden suchen, sondern im Plan des Baumeisters, in seiner Idee.
Ein triumphaler, beglückender Hass erfasste ihn. Er hasste nicht nur Liss und Hitler, sondern auch den englischen Offizier mit den farblosen Augen, der ihn über die Kritik am Marxismus in der Sowjetunion befragt hatte, er hasste den Einäugigen mit seinem abscheulichen Geschwätz und den schwammigen Prediger, der sich als Polizeiagent entpuppt hatte. Wo nur werden diese Leute die Idioten finden, die glauben, dass es auch nur den Schatten einer Ähnlichkeit zwischen den sozialistischen Staaten und einem faschistischen Imperium gibt? Liss, ein Gestapo-Mann, war der einzige Abnehmer ihrer stinkenden Ware. In diesen Minuten verstand Michail Sidorowitsch so klar wie nie zuvor den inneren Zusammenhang zwischen dem Faschismus und seinen Agenten.
Lag denn nicht gerade darin die Genialität Stalins, dachte Mostowskoi, dass er diese Leute hasste und ausmerzte, weil er als Einziger die geheime Verwandtschaft zwischen dem Faschismus und dem Pharisäertum, den Predigern einer falschen Wahrheit, erkannt hatte? Dieser Gedanke schien ihm so einleuchtend, dass er ihn Liss mitteilen, ihm die Absurdität seiner Konstruktionen damit klarmachen wollte. Stattdessen aber grinste er nur; er war schließlich schlauer als dieser Dummkopf von Goldenberg, der mit dem Staatsanwalt über die Frage der Narodowolzy diskutiert hatte.
Er schaute Liss direkt in die Augen und sagte laut und deutlich, sodass es auch der Posten an der Tür hören musste: »Ich rate Ihnen, keine Zeit mit mir zu verschwenden. Stellen Sie mich an die Wand, hängen Sie mich auf, bringen Sie mich um.«
Liss wehrte hastig ab: »Keiner will Sie umbringen. Beruhigen Sie sich bitte.«
»Ich bin gar nicht beunruhigt«, sagte Mostowskoi heiter, »ich habe auch nicht vor, mich zu beunruhigen.«
»Aber Sie müssen beunruhigt sein«, sagte Liss. »Wenn meine Schlaflosigkeit doch zu der Ihren würde! Worin liegt denn der Grund unserer Feindschaft, ich kann ihn nirgends sehen … Adolf Hitler ist kein Führer, sondern ein Lakai der Stinnes und der Krupps? Bei euch gibt es keinen privaten Landbesitz? Fabriken und Banken gehören dem Volk? Ihr seid Internationalisten, während wir den Rassenhass predigen? Wir haben einen Brand entfacht, und ihr versucht ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher