Leben und Schicksal
das verlorene Korn wieder?
Was aber ist das Gute? Man hat gesagt: Gut ist eine Idee und die mit dieser Idee verbundene Tat, wenn sie der Menschheit, der Familie, der Nation, dem Staat, der Klasse, der Religion etc. zum Ruhm, zum Besten gereicht.
Diejenigen, die für ihr privates Gutes kämpfen, bemühen sich, ihm den Anschein der Allgemeingültigkeit zu verleihen. Deshalb sagen sie: Mein Gutes deckt sich mit dem Guten der Allgemeinheit, mein Gutes ist nicht nur für mich, sondern für alle gut und notwendig. Wenn ich für mich das Gute tue, dann diene ich dem Gemeinwohl.
So versucht das Gute, das seine Allgemeingültigkeit verloren hat, also das Gute einer Sekte, Klasse, Nation oder eines Staates, sich eine falsche Allgemeingültigkeit zu verleihen, um seinen Kampf gegen all das zu rechtfertigen, was in seinen Augen böse ist.
Herodes hat ja auch nicht um des Bösen, sondern um seines persönlichen Guten willen Blut vergossen. Eine neue Kraft war in die Welt gekommen, die ihn, seine Familie, seine Günstlinge und Freunde, seine Herrschaft und sein Heer mit dem Untergang bedrohte.
Doch diese Kraft war nicht böse: Es war das Christentum. Noch nie hatte die Menschheit solche Worte vernommen: ›Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet … Denn mit dem Gericht, mit dem ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden … und mit dem Maße, mit dem ihr messet, wird euch gemessen werden … Liebet eure Feinde … tut Gutes denen, die euch hassen … Segnet, die euch fluchen, und betet für die, welche euch verleumden … Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun, so sollt auch ihr ihnen tun. Denn das ist das Gesetz.‹
Was hat den Menschen aber diese Lehre des Friedens und der Liebe gebracht? – Den byzantinischen Bilderstreit, die Folter der Inquisition, den Kampf gegen die Ketzerei in Frankreich, Italien, Flandern und Deutschland, den Kampf zwischen Protestantismus und Katholizismus, die Kabale der Mönchsorden, den Kampf zwischen Nikon und Awwakum, ein jahrhundertelanges Joch für Wissenschaft und Freiheit, die christliche Ausrottung der heidnischen Bevölkerung Tasmaniens, Gauner und Schurken, die die Negerkrale in Afrika anzündeten … All das hat mehr Leid über die Betroffenen gebracht als alle Missetaten von Räubern und Verbrechern, die das Böse um des Bösen willen tun.
So sieht die erschütternde und beschämende Bilanz der menschlichsten aller Lehren der Menschheit aus; auch sie ist den Weg aller Beglückungsdoktrinen gegangen und hat sich in kleine und kleinste Kreise aufgespalten, in denen jeweils ein anderer Begriff des Guten gilt.
Die Grausamkeit des Lebens fördert in großen Herzen das Gute zutage; sie geben dann das Gute zurück an das Leben in dem Bestreben, dieses Leben gemäß dem ihnen innewohnenden und lebendigen Guten umzugestalten. Aber nicht die Kreise des Lebens ändern sich in Übereinstimmung mit der Idee des Guten, die Idee des Guten geht vielmehr unter im Sumpf des Lebens, sie spaltet sich auf, verliert ihren allgemeingültigen Charakter, dient nur noch dem jeweiligen Tag und formt nicht das Leben nach ihrem schönen, aber unfruchtbaren Modell.
Der Fortgang des Lebens wird vom Bewusstsein des Menschen stets als Kampf des Guten gegen das Böse verstanden – zu Unrecht! Die Menschen, die das Gute für die Menschheit wollen, haben nicht die Macht, das Böse im Leben zu vermindern.
Wir brauchen neue, große Ideen, um ein neues Flussbett zu graben, wir müssen dazu Steine wegwälzen, Felsen sprengen und Wälder abholzen; wir brauchen Träume von einem alles umfassenden Guten, damit die großen Wasser friedlich fließen können. Wenn das Meer denken könnte, dann würde jeder Sturm in seinen Wassern die Idee und den Traum vom Glück wecken, und jede Meereswoge, die an einem Felsen zerschellt, würde glauben, dass dies zum Wohl des Meeres geschehe; es würde ihr nicht in den Sinn kommen, dass die Kraft des Sturmes sie hochgehoben hat, wie sie vor ihr schon Tausende von Wogen hochgehoben hat, die wie sie zerschellt sind, und nach ihr noch Tausenden das gleiche Schicksal bereiten wird.
Es sind viele Bücher darüber geschrieben worden, wie man das Böse zu bekämpfen hat und was gut, was böse ist.
Aber das traurige Fazit von ihnen allen ist unbestreitbar dies:
Dort, wo das Gute als Streif der Morgenröte aufsteigt, das Gute, das ewig ist und nie dem Bösen unterliegen wird, jenem Bösen, das ebenfalls ewig ist, aber niemals das Gute überwinden wird, dort werden Säuglinge und
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