Leben und Schicksal
darüber, wer die größten Chancen habe, als erster mit Katja zu schlafen. Einer sagte: »Grekow natürlich.« Ein anderer: »Das steht noch nicht fest. Aber ich weiß, wer der Letzte in der Reihe sein wird – unser Granatwerferschütze Serjoschka. Je jünger eine ist, desto mehr zieht sie’s zu einem erfahrenen Mann.«
Dann hatte sie bemerkt, dass das Flirten und Scherzen mit ihr fast ganz aufhörte. Grekow machte keinen Hehl daraus, dass es ihm nicht gefiel, wenn die Hausbewohner sich an Katja heranmachten.
Eines Tages hatte der bärtige Subarew zu ihr gesagt: »He, Hausverwaltersgattin.« Grekow ließ sich Zeit; er war seiner Sache offenbar ganz sicher, und sie spürte das. Nachdem das Funkgerät durch einen Bombensplitter zerstört worden war, hatte er ihr befohlen, sich in einem abgetrennten Kellerraum einzurichten.
Gestern hatte er zu ihr gesagt: »So ein Mädel wie dich habe ich noch nie getroffen«, und hinzugefügt: »Hätte ich dich vor dem Krieg getroffen, ich hätte dich geheiratet.«
Sie wollte sagen, dass er sie doch wohl hätte fragen müssen aber sie schwieg, brachte es nicht fertig. Er tat ihr nichts, sagte nichts Anzügliches, versuchte auch nicht, sie einzuschüchtern aber irgendwie machte er ihr Angst.
Gestern hatte er traurig zu ihr gesagt: »Die Deutschen greifen bald an. Da wird wohl kaum einer von uns davonkommen; der Keil des deutschen Angriffs zielt auf unser Haus.«
Langsam und aufmerksam war sein Blick über sie hinweggeglitten, und Katja erbebte, nicht bei dem Gedanken an den bevorstehenden deutschen Angriff, sondern unter diesem langsamen ruhigen Blick.
»Ich werde zu dir kommen«, hatte er gesagt, und obwohl kein Zusammenhang zu bestehen schien zwischen diesen Worten und seiner Prophezeiung, dass wohl kaum einer den deutschen Angriff überleben würde, gab es diesen Zusammenhang, und Katja verstand ihn.
Er glich nicht den Kommandeuren, die sie bei Kotluban gesehen hatte. Er kam mit den Leuten aus, ohne Geschrei und Drohungen, und sie gehorchten ihm stets. Er saß da, rauchte, erzählte, hörte zu, unterschied sich in nichts von den gemeinen Soldaten; und doch genoss er unbedingte Autorität.
Mit Schaposchnikow sprach sie kaum. Manchmal hatte sie den Eindruck, er sei in sie verliebt und scheue sich nur, genau wie die anderen und wie auch sie selbst, gegen den Mann aufzubegehren, der sie beide begeisterte und zugleich einschüchterte. Schaposchnikow war schwach und unerfahren, und doch hätte sie ihn gern um seinen Schutz gebeten und zu ihm gesagt: »Setz dich zu mir …« Dann wieder wollte sie ihn selbst trösten. Es war ganz seltsam, wenn sie mit ihm sprach, es war, als gäbe es keinen Krieg und kein Haus »sechs Strich eins«. Er schien das zu spüren und gab sich absichtlich grob und ungehobelt; einmal hatte er sogar in ihrer Gegenwart unflätig geflucht.
Jetzt aber schien ihr zwischen ihren eigenen wirren Gedanken und Gefühlen und der Tatsache, dass Grekow Schaposchnikow zum Sturmangriff gegen das deutsche Haus eingeteilt hatte, eine grausame Verbindung zu bestehen.
Sie lauschte gespannt auf das Maschinenpistolenfeuer und sah Schaposchnikow vor sich, auf einem roten Ziegelhaufen liegend, der Kopf mit den langen Haaren hing herab.
Heftiges Mitleid mit ihm ergriff sie; der farbige Widerschein des nächtlichen Geschützfeuers verschmolz in ihrem Herzen mit der Angst und dem Respekt vor Grekow, der aus den Ruinen den Angriff auf die stählernen Divisionen der Deutschen wagte, verschmolz mit dem Gedanken an ihre Mutter. Ach, wenn sie nur Schaposchnikow lebend wiedersehen könnte, ihr Leben wollte sie dafür geben.
Und wenn sie kommen und sagen: »Deine Mutter oder ihn?«
Dann hörte sie Schritte. Sie krallte sich mit den Fingern in die Steinbrocken und lauschte.
Das Schießen hatte aufgehört; alles war still.
Rücken, Schultern und Beine unterhalb der Knie begannen zu kribbeln, aber sie wagte nicht, sich zu kratzen oder zu rascheln.
Batrakow wurde immer gefragt, warum er sich denn ständig kratzte, und er antwortete stets, es seien die Nerven, und gestern hatte er gesagt: »Ich habe elf Läuse an mir gefunden.« Da hatte Kolomeizew gelacht: »Batrakow ist von einer Nervenlaus befallen.«
Sie ist tot, die Soldaten zerren sie zu einer Grube. Sie sagen: »So ein armes Mädel, voller Läuse.«
Vielleicht waren es ja wirklich die Nerven? Plötzlich begriff sie, dass da jemand zu ihr wollte, dass jemand sie im Dunkeln suchte, ein wirklicher Mann aus Fleisch und Blut,
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