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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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»Unser Berjoskin hat sich furchtbar darüber aufgeregt. Das Funkgerät dort ist doch tot, und da sind Kerle darunter, die sicher vor nichts zurückschrecken.«
    »Überzeugen Sie sich an Ort und Stelle, beeilen Sie sich, ich wünsche viel Erfolg«, sagte der Divisionskommissar.
    20
    Einen Tag nachdem Grekow Schaposchnikow mit der Funkerin weggeschickt hatte, machte sich Krymow in Begleitung eines MP-Schützen auf den Weg zu dem berühmt-berüchtigten, von den Deutschen eingeschlossenen Haus.
    Gegen Abend verließen sie den Stab des Schützenregiments Die Luft war frostklar. Kaum waren sie auf den asphaltierten Hof des Stalingrader Traktorenwerkes hinausgetreten, verspürte Krymow die Todesgefahr stärker und deutlicher als je zuvor.
    Gleichzeitig aber empfand er auch Hochstimmung und Vorfreude. Der chiffrierte Funkspruch, der so unerwartet aus dem Frontstab gekommen war, hatte ihm irgendwie bestätigt, dass hier, in Stalingrad, alles anders war, andere Beziehungen herrschten, andere Werte galten und andere Anforderungen an die Leute gestellt wurden. Krymow war wieder er selbst, kein Krüppel aus der Invalidenmannschaft, sondern wieder Gefechtskommissar und Bolschewik. Der gefährliche und schwierige Auftrag schreckte ihn nicht. Es war für ihn die reinste Wonne gewesen, in den Augen des Divisionskommissars und Piwowarows wieder einmal den Respekt zu lesen, den ihm die Parteifreunde stets entgegengebracht hatten.
    Auf dem von einer Granate aufgerissenen Asphalt lag neben einem verbogenen Geschütz ein toter Rotarmist.
    Aus irgendeinem Grund erschütterte ihn der Anblick dieses Toten gerade jetzt, in seiner hoffnungs- und erwartungsvollen Stimmung, besonders stark. Er hatte sich an den Anblick von Toten längst gewöhnt, doch dieser, der hilflos wie ein Vogel mit angezogenen Beinen dalag, als ob ihm kalt wäre, ließ ihn erschauern.
    Ein politischer Offizier im grauen, steifen Mantel lief vorbei, die dicke Feldtasche gegen die Schläfen gepresst, Soldaten schleppten in einer Zeltplane Panzerminen und Brotlaibe an ihm vorüber.
    Der Tote brauchte kein Brot mehr und keine Waffen, wartete nicht mehr auf Post von seiner treuen Ehefrau. Er war nicht stark in seinem Tod, er war vollkommen schwach, ein toter Spatz, vor dem Fliegen und Falter keine Angst mehr haben.
    In einem Mauerdurchbruch wollten Artilleristen eine Regimentskanone aufstellen und zankten sich mit der Bedienungsmannschaft eines schweren Maschinengewehrs. Ihre Gesten verrieten, weswegen sie stritten.
    »Weißt du, wie lange unser Maschinengewehr hier schon steht? Da habt ihr noch am anderen Ufer Fliegen gefangen, als wir hier schon damit geschossen haben.«
    »Ihr seid unverschämt, sonst gar nichts.«
    Die Luft heulte auf, an einer Ecke der Fabrikhalle explodierte eine Granate. Die Splitter spritzten gegen die Wände. Der MP-Schütze, der vor Krymow herging, schaute sich nach dem Kommissar um, half ihm auf die Beine und sagte: »Keine Angst, Genosse Kommissar, wir sind hier in der zweiten Linie, tiefstes Hinterland sozusagen.«
    Krymow brauchte einige Zeit, bis er begriff, dass der Fabrikhof als ruhiger Winkel galt.
    Er musste noch oft laufen und sich hinwerfen, das Gesicht in den Boden vergraben. Zweimal sprangen sie in Schützengräben, in denen die Infanterie saß; dann liefen sie zwischen abgebrannten kleinen Häusern hindurch, wo keine Menschen mehr wohnten, sondern nur noch Kugeln heulten und pfiffen … Wieder sagte der MP-Schütze tröstend: »Hauptsache, es sind keine Stukas.« Dann meinte er: »Los, Genosse Kommissar, bis zu dem Bombentrichter dort.«
    Krymow kroch in den Bombentrichter hinunter und schaute nach oben – blauer Himmel über seinem Kopf, und sein Kopf saß noch auf seinen Schultern. Es berührte ihn seltsam, dass die Anwesenheit anderer Menschen nur daran zu merken war, dass sie von zwei Seiten den Tod über seinen Kopf hinwegschwirren ließen; und ebenso seltsam war es, sich in einem Loch sicher zu fühlen, das der Spaten des Todes ausgehoben hatte.
    Der MP-Schütze gönnte ihm keine Verschnaufpause: »Kriechen Sie mir nach!«, sagte er und schlüpfte in ein dunkles Loch am Boden des Trichters. Krymow zwängte sich hinter ihm hinein; er befand sich in einem niedrigen Stollen, der sich jedoch bald zu einem mannshohen Tunnel verbreiterte. Unter der Erde hörte man das Heulen des über sie hinwegbrausenden Feuersturms; das Gewölbe erzitterte, und ein Krachen rollte durch die unterirdische Höhle. Dort, wo die Eisenrohre besonders

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