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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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hinzu: »Pjotr Lawrentjewitsch ist ein guter Mensch, er hat viel durchgemacht.«
    »Ja, ja«, sagte Strum, »das tut weh: so ein großer, mutiger Gelehrter und so eine kleine Seele.«
    »Er hat sehr viel durchgemacht«, wiederholte Marja Iwanowna.
    »Trotzdem«, sagte Strum. »Nicht Sie hätten mir das sagen sollen, sondern er.«
    Er nahm ihren Arm.
    »Hören Sie, Marja Iwanowna, was war da eigentlich los mit Madjarow? Ich verstehe es einfach nicht, was ist da vorgefallen?«
    Der Gedanke an die Kasaner Gespräche ließ ihn zurzeit nicht mehr los; er erinnerte sich oft an einzelne Sätze und Worte, an die unheilvolle Warnung Karimows und den gleichzeitigen Verdacht Madjarows. Ihm war, als würden sich die Moskauer Wolken über seinem Haupt unvermeidlich mit der Kasaner Disputiererei vereinen.
    »Ich weiß selbst nicht, was vorgefallen ist«, sagte sie. »Ein eingeschriebener Brief, den wir Leonid Sergejewitsch geschrieben haben, ist zurückgekommen. Entweder hat sich die Adresse geändert, oder er ist auch weggefahren, oder aber das Schlimmste ist eingetreten.«
    »Ja, ja, ja«, murmelte Strum und verlor für einen Augenblick die Fassung.
    Marja Iwanowna hatte offenbar angenommen, dass Sokolow ihm von dem zurückgekommenen Brief erzählt habe, aber er hatte keine Ahnung davon gehabt. Sokolow hatte ihm nichts gesagt. Strums Frage, was vorgefallen sei, hatte sich auf den Streit zwischen Madjarow und Pjotr Lawrentjewitsch bezogen.
    »Kommen Sie, gehen wir in den Neskutschny-Park«, sagte er.
    »Wir gehen aber doch auf der falschen Seite.«
    »Von der Kalugaer Straße aus gibt es auch einen Eingang«, antwortete er.
    Er wollte sie etwas genauer über Madjarow ausfragen, über dessen Verdacht gegenüber Karimow, und ihr von Karimows Verdacht gegenüber Madjarow erzählen. In dem leeren Neskutschny-Park würde sie niemand stören. Marja Iwanowna würde sofort begreifen, wie wichtig ihm dieses Gespräch war. Er spürte, dass er mit ihr vertrauensvoll und offen über alles reden konnte, was ihn bewegte, und dass auch sie mit ihm offen sprechen würde.
    Am Vortag hatte Tauwetter eingesetzt. An den Hängen der kleinen Hügel im Park lugten unter dem tauenden Schnee hie und da nasse, modrige Blätter hervor, doch in den Senken war die Schneedecke noch ganz geschlossen. Eine trübe Wolkendecke hing am Himmel.
    »Was für ein schöner Abend«, sagte Strum und zog die feuchtkalte Luft ein.
    »Ja, schön, und kein Mensch weit und breit, als wären wir draußen vor der Stadt.«
    Sie gingen auf schmutzigen, schmalen Wegen. Wenn sie an eine Pfütze kamen, reichte Strum Marja Iwanowna die Hand und half ihr hinüber.
    Lange, lange gingen sie schweigend nebeneinanderher. Strum wollte gar nicht mehr reden, weder über den Krieg noch über das Institut, noch über Madjarow und seine Befürchtungen, Vorahnungen und schlimmen Vermutungen. Er wollte weiter schweigend neben der kleinen, ungeschickt und doch leichtfüßig gehenden Frau herschreiten und dieses Gefühl der Leichtigkeit, der Ruhe und Freude genießen, das plötzlich über ihn gekommen war und über das er nicht nachdenken wollte.
    Auch sie begann kein Gespräch, sondern ging mit leicht gesenktem Kopf neben ihm her.
    Sie kamen ans Ufer; auf dem Fluss lag dunkles Eis.
    »Schön«, sagte Strum.
    »Ja, sehr«, nickte sie.
    Der asphaltierte Uferweg war trocken; sie schritten schnell dahin, wie zwei Wanderer auf großer Reise. Sie begegneten einem verwundeten Leutnant und einem jungen Mädchen von gedrungenem Wuchs im Skianzug. Die beiden gingen eng umschlungen und küssten sich von Zeit zu Zeit. Als sie auf gleicher Höhe waren mit Strum und Marja Iwanowna, küssten sie sich wieder, schauten sich um und lachten.
    »Vielleicht ist Nadja auch schon so mit ihrem Leutnant hier vorbeigegangen«, dachte Strum.
    Marja Iwanowna schaute dem Paar nach und sagte: »Wie traurig.« Und lächelnd fügte sie hinzu: »Ljudmila Nikolajewna hat mir von Nadja erzählt.«
    »Ja, ja«, sagte Strum, »das ist schon sehr seltsam.«
    Dann fuhr er fort: »Ich habe beschlossen, den Direktor des Instituts für Elektromechanik anzurufen und mich bei ihm zu bewerben. Wenn sie mich nicht nehmen, gehe ich irgendwohin, nach Nowosibirsk oder Krasnojarsk.«
    »Ja«, sagte sie, »das müssen Sie wohl. Sie konnten nicht anders handeln.«
    »Wie traurig das alles ist«, sagte er.
    Er wollte ihr erzählen, dass er die Liebe zu seiner Arbeit und seinem Labor nun besonders intensiv fühlte, dass ihn der Anblick der Anlage,

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