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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Sie stattgefunden hat. Kowtschenko hat Ihnen ganz schön was eingebrockt, er hat gesagt: ›Strum möchte nicht mehr in unserem Kollektiv arbeiten.‹«
    »Na ja, und wennschon«, sagte Strum und spürte, wie sein Augenlid zu zucken begann. Während er mit Markow über die Kernfotografie sprach, hatte er das Gefühl, nicht mehr er, sondern Markow leite bereits das Labor. Markow sprach mit der gelassenen Stimme des Meisters; zweimal kam Nosdrin herein und fragte ihn etwas wegen der Montage der Apparatur, und Markow gab ihm mit gemessener Stimme seine Anweisungen.
    Doch dann nahm Markows Gesicht plötzlich einen kläglichen, flehenden Ausdruck an, und er sagte leise zu Strum: »Viktor Pawlowitsch, bitte beziehen Sie sich nicht auf mich, wenn Sie diese Sitzung des Parteikomitees ansprechen, sonst bekomme ich Schwierigkeiten wegen Verrats geheimer Parteisachen.«
    »Ach, wo denken Sie hin?«, sagte Strum.
    Markow sagte: »Es wird sich schon wieder alles einrenken.«
    »Ach«, sagte Strum, »ihr werdet auch ohne mich auskommen.«
    »Ich glaube, Sie irren sich«, sagte Markow. »Ich habe gestern mit Kotschkurow gesprochen, Sie kennen ihn ja, das ist keiner von den Sprücheklopfern. Er hat zu mir gesagt: ›Strums Arbeit ist mehr Mathematik als Physik, aber mir leuchtet sie ein, ich weiß selbst nicht warum.‹«
    Strum wusste, was Markow damit sagen wollte – der junge Kotschkurow interessierte sich leidenschaftlich für Arbeiten, die mit der Einwirkung langsamer Neutronen auf den Kern schwerer Atome zu tun hatten, weil er fest daran glaubte, dass diese Arbeiten für die Praxis zukunftsweisend waren.
    »Die Kotschkurows haben aber leider nichts zu sagen«, sagte Strum. »Bei uns entscheiden die Badjins, und Badjin glaubt, dass ich mich zu der Sünde bekennen müsse, die Physiker in die Abgründe talmudistischer Abstraktionen führen zu wollen.«
    Offenbar wussten schon alle im Labor von Strums Kontroverse mit der Institutsleitung und der gestrigen Sitzung des Parteikomitees. Anna Stepanowna sah Strum mit einer Leidensmiene an.
    Strum wollte gerne mit Sokolow sprechen, aber der war schon seit dem frühen Morgen in der Akademie und ließ später von dort ausrichten, er werde an diesem Tag wahrscheinlich nicht mehr ins Institut kommen.
    Sawostjanow aber war aus irgendeinem Grund bester Laune und scherzte unentwegt: »Viktor Pawlowitsch«, sagte er, »der verehrte Gurewitsch ist ein glänzender, ausgezeichneter Gelehrter«, und dabei fuhr er sich mit der Hand über Kopf und Bauch, eine Anspielung auf Gurewitschs Glatze und Schmerbauch.
    Als Strum abends zu Fuß vom Institut nach Hause ging, traf er auf der Kalugaer Straße ganz unerwartet Marja Iwanowna.
    Sie sprach ihn zuerst an. Sie trug einen Mantel, den Viktor Pawlowitsch noch nicht an ihr gesehen hatte, und so erkannte er sie nicht gleich.
    »Na, so was«, sagte er, »wie kommen Sie denn auf die Kalugaer Straße?«
    Sie schwieg einige Augenblicke und schaute ihn an. Dann schüttelte sie den Kopf und sagte: »Es ist kein Zufall. Ich wollte Sie treffen, deshalb bin ich hier.«
    Er wurde verlegen und hob leicht verwundert die Arme. Sein Herz setzte aus; gleich würde sie ihm sicher etwas sehr Schlimmes mitteilen, ihn vor einer Gefahr warnen.
    »Viktor Pawlowitsch«, sagte sie, »ich wollte mit Ihnen reden. Pjotr Lawrentjewitsch hat mir alles erzählt.«
    »Ach, von meinen fabelhaften Erfolgen«, sagte Strum.
    Sie gingen schweigend nebeneinanderher, und man konnte den Eindruck haben, es gingen da zwei Fremde.
    Strum verwirrte ihr Schweigen, und er sagte, mit einem schrägen Blick auf Marja Iwanowna: »Ljudmila schilt mich wegen dieser Geschichte. Wahrscheinlich wollen Sie nun auch mit mir schimpfen.«
    »Nein«, sagte sie, »das will ich nicht. Ich weiß, was Sie veranlasst hat, so zu handeln.«
    Überrascht sah er sie an.
    Sie sagte: »Sie haben an Ihre Mutter gedacht.«
    Er nickte.
    Dann fuhr sie fort: »Pjotr Lawrentjewitsch wollte Ihnen nichts sagen … Man hat ihm berichtet, dass sowohl die Direktion als auch die Parteiorganisation gegen Sie Sturm laufen, er hat gehört, wie Badjin sagte: ›Das ist keine einfache Hysterie, das ist eine politische, antisowjetische Hysterie.‹«
    »Aha, ich bin also hysterisch«, sagte Strum. »Ich habe doch gespürt, dass Pjotr Lawrentjewitsch mir etwas verschweigen will.«
    »Ja, er wollte es Ihnen nicht sagen. Das ist mir arg.«
    »Hat er Angst?«
    »Ja. Außerdem glaubt er, dass Sie prinzipiell unrecht haben.«
    Leise fügte sie

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