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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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mit der demnächst die ersten Versuche durchgeführt werden sollten, froh und traurig zugleich stimmte, dass er das Gefühl hatte, er müsse nachts zum Institut gehen und zum Fenster hineinschauen. Dann aber dachte er, dass Marja Iwanowna bei diesen Worten vielleicht denken könnte, er wolle sich in ein besseres Licht setzen, und so schwieg er.
    Sie kamen zur Trophäen-Ausstellung. Ihren Schritt verlangsamend, betrachteten sie die graugestrichenen deutschen Panzer, Geschütze, Minenwerfer und das Flugzeug mit dem schwarzen Hakenkreuz auf den Tragflächen.
    »Auch wenn sie stumm und unbeweglich dastehen, sind sie ein schrecklicher Anblick«, sagte Marja Iwanowna.
    »Ach, das ist halb so schlimm«, sagte Strum. »Man kann sich immer damit trösten, dass all das im nächsten Krieg wie das reinste Kinderspielzeug aussehen wird, wie Musketen und Hellebarden heute.«
    Als sie zum Tor des Parks kamen, sagte Viktor Pawlowitsch: »Hier endet also unser Spaziergang. Schade, dass der Neskutschny-Park so klein ist. Sind Sie nicht müde geworden?«
    »Oh, nein, nein«, sagte sie. »Ich bin Fußmärsche gewohnt.«
    Entweder hatte sie seine Worte nicht verstanden, oder sie wollte sie nicht verstehen.
    »Wissen Sie«, sagte er, »irgendwie hängen unsere Begegnungen immer von Ihren Begegnungen mit Ljudmila Nikolajewna oder meinen mit Pjotr Lawrentjewitsch ab.«
    »Ja, natürlich«, sagte sie. »Wie sollte es auch anders sein?«
    Sie verließen den Park; der Lärm der Großstadt schlug über ihnen zusammen und zerstörte das Glück des schweigsamen Spaziergangs. Sie kamen auf den Platz unweit der Stelle, an der sie sich getroffen hatten.
    Marja Iwanowna sah zu ihm auf wie ein Kind zu einem Erwachsenen und sagte: »Sie empfinden jetzt wahrscheinlich die Liebe zu Ihrer Arbeit, Ihrem Labor und Ihren Instrumenten besonders intensiv. Doch Sie konnten trotzdem nicht anders handeln; ein anderer hätte es vielleicht gekonnt, aber Sie nicht. Ich habe Ihnen Schlechtes berichten müssen, aber ich glaube, es ist immer besser, zu wissen, woran man ist.«
    »Danke, Marja Iwanowna«, sagte Strum und drückte ihre Hand, »danke, und nicht nur dafür.«
    Ihm war, als zitterten ihre Finger in seiner Hand.
    »Merkwürdig«, sagte sie, »wir verabschieden uns fast an der gleichen Stelle, an der wir uns getroffen haben.«
    Scherzhaft erwiderte er: »Nicht umsonst haben die Alten gesagt: ›Und am Ende ist wieder der Anfang.‹«
    Sie runzelte die Stirn, versuchte offenbar, den Sinn seiner Worte zu erfassen, dann lachte sie und sagte: »Das hab ich nicht verstanden.«
    Strum schaute ihr nach: eine kleine, schmale Frau, eine von jenen, nach denen sich die Männer nicht umdrehen.
    58
    Selten hatte Darenski so langweilige Wochen erlebt wie in der Kalmückensteppe. Er telegrafierte der Frontleitung, seine Anwesenheit an der äußersten linken Flanke, wo völlige Ruhe herrsche, sei nicht länger erforderlich und sein Auftrag sei erfüllt. Doch er wurde und wurde nicht abberufen.
    Am leichtesten war noch die Dienstzeit zu ertragen – am schwersten die Freizeit.
    Rundherum war nichts als Sand, rieselnder, trockener, knirschender Sand. Es gab natürlich auch hier Leben – Eidechsen und Schildkröten raschelten und hinterließen mit ihren Schwänzen Spuren im lockeren Sand. Es gab stacheliges Buschwerk in der Farbe des Sandes. In der Luft kreisten Geier, die nach Aas und Abfällen Ausschau hielten, und hochbeinige Spinnen huschten hin und her.
    Die Kargheit der Natur, die kalte Eintönigkeit der schneelosen Novemberwüste schienen auch die Menschen innerlich völlig auszuhöhlen – nicht nur ihr Leben, auch ihre Gedanken wurden karg, eintönig, schwermütig.
    Langsam passte sich Darenski diesem trostlosen, öden Leben in der Sandwüste an. Er, dem Essen immer gleichgültig gewesen war, dachte hier ständig an die nächste Mahlzeit. Die saure Suppe aus groben Gerstengraupen und eingemachten Tomaten als Vorspeise und die Grütze aus den gleichen groben Gerstengraupen als Hauptspeise wurden zum Albtraum seines Lebens. Wenn er in dem kleinen, halbdunklen Schuppen an dem Brettertisch saß, auf dem Suppenflecken glänzten, und die Leute beobachtete, wie sie aus ihren flachen Blechnäpfen löffelten, dann wurde er ganz schwermütig und wollte so schnell wie möglich hinaus aus dieser Kantine, dem Geräusch der Löffel und dem widerlichen Geruch entfliehen. Doch kaum stand er draußen, da zog ihn die Kantine schon wieder magisch an, und er begann wieder die Stunden zu

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