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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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zählen bis zum nächsten Mittagessen.
    Nachts war es kalt in den Hütten, und Darenski schlief schlecht – Rücken, Ohren, Beine und Finger wurden steif, und die Wangen froren. Er schlief, ohne sich auszuziehen, mit zwei Paar Fußlappen an den Füßen und einem Handtuch um den Kopf.
    Anfangs wunderte er sich, dass die Menschen, mit denen er hier zu tun hatte, offenbar gar nicht an den Krieg dachten, dass ihr Gehirn nur mit Fressen, Rauchen und Waschen beschäftigt zu sein schien. Doch bald bemerkte Darenski, wenn er mit den Divisions- und Batteriekommandeuren über die Vorbereitung der Winterausrüstung, über Maschinenöl und Munition sprach, dass auch in seinem Kopf nur noch diese alltäglichen Sorgen, Kümmernisse und Hoffnungen herumschwirrten.
    Der Frontstab schien unerreichbar fern. Darenskis Träume waren viel anspruchsloser – nur für einen Tag zum Armeestab bei Elista fahren zu können, und dabei ging es ihm nicht um das Wiedersehn mit der blauäugigen Alla Sergejewna, sondern um ein Bad, um frische Wäsche und Nudelsuppe.
    Selbst die Übernachtung bei Bowa erschien ihm rückblickend angenehm, so schlecht war es gar nicht gewesen in Bowas Hütte. Auch hatten sie sich nicht in einem fort über Waschen und Suppe unterhalten.
    Besonders peinigten ihn die Läuse.
    Lange Zeit verstand er nicht, warum er sich so häufig kratzen musste, bemerkte nicht das verstehende Lächeln seines Gesprächspartners, wenn er sich während einer dienstlichen Unterhaltung plötzlich heftig unter der Achsel oder in der Leistenbeuge kratzte. Von Tag zu Tag kratzte er sich wütender. Stiche und Juckreiz unter den Achseln und am Schlüsselbein wurden zur Gewohnheit.
    Er glaubte, es sei ein Ekzem, und erklärte es sich damit, dass seine Haut trocken geworden war, gereizt von Staub und Sand.
    Manchmal war das Brennen derart quälend, dass er mitten im Gehen stehen blieb und begann, Beine, Bauch und Steißbein zu kratzen.
    Besonders stark juckte es ihn nachts. Darenski wachte auf und scheuerte erbittert mit den Fingernägeln die Haut auf der Brust. Einmal lag er auf dem Rücken, zog die Beine an und begann, sich stöhnend die Wade zu kratzen. Er hatte bemerkt, dass sich das Ekzem bei Wärme verstärkte. Unter der Decke juckte der Körper und brannte unerträglich. Wenn er nachts in die Frostluft hinaustrat, hörte das Brennen auf. Er dachte daran, ins Krankenrevier zu gehen und um eine Salbe gegen das Ekzem zu bitten.
    Eines Morgens klappte er den Hemdkragen um und erblickte darauf, entlang der Nähte, eine Reihe verschlafener, ausgewachsener Läuse. Es waren viele. Darenski sah ängstlich und voller Scham auf den neben ihm liegenden Hauptmann. Der war schon aufgewacht, saß auf seiner Pritsche und zerdrückte mit raubgierigem Gesichtsausdruck auf seiner offenen Unterhose Läuse. Die Lippen des Hauptmanns bewegten sich lautlos, offenbar erstattete er Kampfbericht.
    Darenski streifte das Hemd über den Kopf und nahm die gleiche Tätigkeit auf.
    Der Morgen war still und neblig. Kein Geschützlärm, keine Flugzeuge, und daher hörte man das Knacken der Läuse unter seinen Fingernägeln besonders deutlich.
    Der Hauptmann schaute flüchtig zu Darenski hin und murmelte: »Na, zum Wohl! Wie ein Bär, eine richtige Muttersau, so hört sich’s an!«
    Darenski sagte, ohne die Augen von seinem Hemdkragen abzuwenden: »Gibt’s denn kein Pulver dagegen?«
    »Doch, doch«, sagte der Hauptmann, »aber das hilft nicht. Baden müsste man, aber hier reicht das Wasser ja nicht mal fürs Trinken. Das Geschirr wird schon kaum mehr gespült. Woher Badewasser nehmen.«
    »Und Brennstifte?«
    »Ach die! Da brennt nur die Uniform, und die Laus bräunt sich wie an der Sonne. Als wir in Pjonsa standen, in der Reserve – das war ein Leben! In die Kantine ging ich überhaupt nicht. Meine Wirtin kochte für mich – eine junge, knackige Madame. Und zweimal in der Woche ein Bad, jeden Tag Bier.«
    Er sprach Pensa absichtlich »Pjonsa« aus.
    »Was soll man nur machen?«, fragte Darenski. »Pjonsa ist leider weit.«
    Der Hauptmann sah ihn ernst an und sagte treuherzig: »Es gibt eine wirklich gute Methode, Genosse Oberstleutnant. Schnupftabak! Man muss einen Ziegelstein zerstoßen und mit Schnupftabak mischen und dann damit die Wäsche einpudern. Die Laus fängt an zu niesen, rast herum und rennt sich dabei den Kopf an dem zerstoßenen Ziegelstein ein.«
    Sein Gesicht blieb ganz ernst, und Darenski merkte nicht sofort, dass der Hauptmann ihn auf den Arm

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