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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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selbst und sein Schicksal wohl von so großem Ernst getragen gewesen.
    Ljudmila und Genia kamen zu ihm herein. Als Ljudmila ihn ohne Rock, in Socken und mit gelockertem Kragen erblickte, begann sie wie ein altes Weib zu jammern.
    »Mein Gott, du bist nicht hingegangen! Was wird denn jetzt aus uns?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er.
    »Vielleicht ist es noch nicht zu spät?«, fragte sie, sah ihn dann an und fügte hinzu: »Ich weiß nicht, ich weiß nicht, du bist ein erwachsener Mensch. Du solltest aber bei so wichtigen Entscheidungen nicht nur an deine Grundsätze denken.«
    Er schwieg, seufzte.
    Genia sagte: »Ljudmila!«
    »Na, macht nichts, macht nichts«, sagte Ljudmila, »es komme, wie’s kommen mag.«
    »Ja, meine Gute«, sagte er, »alles wird sich weisen.«
    Er fuhr sich mit der Hand an den Hals und lächelte.
    »Verzeihen Sie, liebste Jewgenia, ich bin ohne Krawatte.«
    Er blickte Ljudmila Nikolajewna und Genia an, und es war ihm, als hätte er eben erst wirklich begriffen, was für eine ernste und schwere Sache es war, auf Erden zu leben, und auch, was ihm seine Nächsten bedeuteten.
    Er wusste wohl, dass das Leben seinen gewohnten Lauf nehmen würde, dass er wieder gereizt, wegen Nichtigkeiten besorgt und über Frau und Tochter verärgert sein würde.
    »Wisst ihr was«, sagte er »genug davon. Lassen Sie uns eine Partie Schach spielen; Genia, erinnern Sie sich noch, wie Sie mich zweimal hintereinander mattgesetzt haben?«
    Sie stellten die Schachfiguren auf, und Strum, der Weiß gezogen hatte, machte seinen ersten Zug mit dem Königsbauern.
    »Genau so wie Nikolai, der hat auch immer so eröffnet«, sagte Genia. »Was wird man mir heute auf dem Kusnezki Most antworten?«
    Ljudmila bückte sich und schob Strum die Hausschuhe unter die Füße. Er versuchte, ohne hinunterzusehen, hineinzuschlüpfen, und Ljudmila Nikolajewna ließ sich verdrossen seufzend auf den Boden nieder und zog ihm die Pantoffeln an. Er küsste sie auf den Scheitel und sagte zerstreut: »Danke, Liebste, danke.«
    Genia zögerte noch mit ihrem Zug, schüttelte dann den Kopf.
    »Nein, ich verstehe es nicht. Trotzkismus – das ist doch ein alter Hut. Irgendwas muss geschehen sein, aber was?«
    Ljudmila Nikolajewna rückte die weißen Bauern zurecht und sagte: »Ich habe heute kaum geschlafen. Ein so treuer, so überzeugter Kommunist.«
    »Übertreib nur nicht«, sagte Genia, »du hast wie ein Murmeltier geschlafen, ich war einige Mal wach und hab dich schnarchen gehört.«
    Ljudmila Nikolajewna wurde böse: »Stimmt nicht, ich habe buchstäblich kein Auge zugetan.«
    Wie um den eigenen, beunruhigenden Gedanken im Kopf zu beantworten, sagte sie laut zu ihrem Mann: »Schon gut, schon gut, Hauptsache, du wirst nicht verhaftet. Wenn sie dir alles nehmen, davor fürchte ich mich nicht, wir werden halt unsere Sachen verschachern, auf die Datscha ziehen und Erdbeeren auf dem Markt verkaufen. Ich werde wieder an der Schule Chemie unterrichten.«
    »Die Datscha werden sie euch wegnehmen«, sagte Genia.
    »Ja, begreift ihr denn wirklich nicht, dass Nikolai völlig unschuldig ist?«, sagte Strum. »Er gehört nur zu einer anderen Generation, hat ein anderes Koordinatensystem im Kopf.«
    Sie saßen über das Schachbrett gebeugt, betrachteten die Figuren, den Bauern, der als Einziger gezogen worden war, und sprachen miteinander.
    »Genia, meine Liebe«, sagte Viktor Pawlowitsch, »Sie haben Ihrem Gewissen gehorcht, und glauben Sie mir, es ist das Beste, was ein Mensch tun kann. Ich weiß nicht, was Sie im Leben noch erwartet, aber ich bin sicher, Sie haben recht getan. Unser Unglück ist ja, dass wir das Gewissen überhören. Wir sagen nicht, was wir denken. Wir fühlen das eine und machen das andere. Erinnern Sie sich an Tolstoi und daran, was er über die Todesstrafe gesagt hat? Ich kann nicht schweigen, sagte er. Und wir, wir haben geschwiegen, als 1937 Tausende Unschuldige hingerichtet wurden. Und die, die schwiegen, waren noch die Besten. Es gab ja auch Beifallklatscher und Bravoschreier. Wir schwiegen während der Kollektivierung, als die Gräueltaten auf dem Land geschahen. Und ich glaube, es ist noch zu früh, über Sozialismus zu reden, er besteht nicht nur in der Schwerindustrie. Sozialismus bedeutet vor allem Gewissensfreiheit, das Recht, ein Gewissen zu haben. Dem Menschen die Gewissensfreiheit zu rauben – das ist furchtbar. Wenn der Mensch sich dazu durchringt, nach dem Gewissen zu handeln, überkommt ihn ein ungeheures

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