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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Pekeschen und Mützen aus grauem Offizierspersianer. In den Kabinen zweiter Klasse reisten die Ehefrauen und Schwiegermütter der Funktionäre, die, ihrem jeweiligen Rang entsprechend, Einheitskleidung trugen, so als gäbe es eine spezielle Uniform für die Ehefrauen und eine für die Schwiegermütter und Mütter: Die Ehefrauen trugen Pelzmäntel und weiße, federleichte Kopftücher aus Ziegenmohair, die Schwiegermütter und Mütter blaue Wintermäntel aus Tuch mit schwarzem Persianerkragen und braune Kopftücher. Sie wurden von Kindern mit gelangweilten, missmutigen Augen begleitet. Durch die Kabinenfenster sah man die Lebensmittel, die diese Passagiere mit sich führten. Ljudmilas erfahrener Blick fand leicht heraus, was die Säcke enthielten: In Beuteln, verlöteten Dosen und großen, dunklen Flaschen mit versiegelten Hälsen fuhren Honig und Butterschmalz die Wolga hinab. Aus Gesprächsfetzen der an Deck flanierenden Passagiere erster und zweiter Klasse ging klar hervor, dass ihr ganzes Denken und Sorgen um den aus Kuibyschew abfahrenden Zug nach Moskau kreiste.
    Ljudmila hatte den Eindruck, als betrachteten die Frauen die in den Korridoren sitzenden Rotarmisten und Leutnants mit gleichgültigem Blick, so als wären ihre Söhne und Brüder nicht im Krieg. Wenn die Morgenmeldung des »Sowjetischen Informbüros« übertragen wurde, standen sie nicht, mit verschlafenen Augen zum Lautsprecher blinzelnd, mit den Rotarmisten und Schiffsmatrosen zusammen unter dem Megafon, sondern drückten sich an ihnen vorbei, um lieber ihren eigenen Angelegenheiten nachzugehen.
    Von den Matrosen erfuhr Ljudmila, dass das ganze Schiff für die Familien leitender Funktionäre eingesetzt worden war, die über Kuibyschew nach Moskau zurückkehrten. In Kasan hatten auf Befehl der Militärbehörden Heereskommandos und Zivilpersonen an Bord genommen werden müssen. Die rechtmäßigen Passagiere hatten Krach geschlagen, sich geweigert, die Militärs an Bord zu lassen, und den Bevollmächtigten des Staatlichen Verteidigungskomitees angerufen. Und wie seltsam: Diese Soldaten, auf ihrem Weg nach Stalingrad, liefen mit schuldbewussten Gesichtern herum und fühlten sich unbehaglich, weil sie die rechtmäßigen Passagiere störten.
    Ljudmila Nikolajewna waren diese ruhigen Frauenaugen unerträglich. Die Großmütter riefen ihre Enkel zu sich und schoben ihnen, ohne die Unterhaltung zu unterbrechen, mit automatischen Bewegungen Backwerk in den Mund. Und als aus der am Bug gelegenen Kabine eine untersetzte alte Frau im sibirischen Nerz herauskam, um zwei Jungen auf Deck spazieren zu führen, beeilten sich die Frauen, sie zu grüßen, und auf den Gesichtern ihrer Männer im Staatsdienst erschien ein schmeichelnder, unruhiger Ausdruck.
    Hätte jetzt das Radio die Eröffnung der zweiten Front oder die Aufhebung der Blockade von Leningrad gemeldet, keiner von ihnen hätte mit der Wimper gezuckt. Doch hätte ihnen jemand gesagt, dass der internationale Waggon vom Zug nach Moskau abgehängt worden sei – alle Ereignisse des Krieges wären von dem leidenschaftlichen Drängeln um Platzkarten der ersten oder zweiten Klasse verschluckt worden.
    Und doch glich auch Ljudmila Nikolajewna in ihrer Aufmachung – grauer Persianer, Ziegenmohairtuch – den Passagieren der ersten und zweiten Klasse. Hatte sie nicht selbst erst vor kurzem Platzkartennöte durchlitten und sich empört, dass man Viktor Pawlowitsch für seine Reisen nach Moskau keine Fahrkarte erster Klasse ausgestellt hatte?
    Sie erzählte einem Leutnant der Artillerie, dass ihr Sohn – auch er Leutnant der Artillerie – mit schweren Verwundungen im Saratower Lazarett liege. Mit einer kranken alten Frau unterhielt sie sich über Marussja, Vera und ihre Schwiegermutter, die auf besetztes Territorium geraten waren. Ihr Leid war das Leid, über das auf diesem Schiffsdeck geseufzt wurde, das Leid, das immer seinen Weg aus den Lazaretten und Frontgräbern zu den Dorfkaten oder zu der in namenloser Öde stehenden Baracke ohne Nummer fand.
    Sie hatte sich ohne einen Trinkbecher und Brot auf den Weg gemacht, so als würde sie unterwegs weder essen noch trinken. Doch an Bord quälte sie schon vom frühen Morgen an das Verlangen zu essen; und Ljudmila erkannte, dass ihr eine schwere Zeit bevorstand. Am zweiten Reisetag kochten die Rotarmisten, die mit den Heizern eine Abmachung getroffen hatten, im Maschinenraum Suppe mit Hirse, riefen Ljudmila herbei und schenkten ihr einen Napf Suppe aus.
    Ljudmila saß auf

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