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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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gewissen hypnotischen Kraft auf die Leute. Alle hatten begriffen, dass Solomatin Korol beleidigen wollte und beleidigt hatte, Berman aber erklärte den Fliegern mit voller Überzeugung, dass Korol seine nationalistischen Vorurteile nicht abgelegt habe und sein Verhalten eine Missachtung der Völkerfreundschaft bedeute. Korol dürfe doch nicht vergessen, dass gerade die Faschisten die nationalistischen Vorurteile ausnutzten und sie gegen sie ausspielten.
    Alles, was Berman sagte, war, für sich genommen, richtig. Die Revolution und die Demokratie hatten Ideen hervorgebracht, über die er jetzt mit bewegter Stimme sprach. Doch Bermans Stärke bestand in diesem Moment darin, dass nicht er der Idee diente, sondern die Idee ihm und seinem heutigen unlauteren Zweck.
    »Seht ihr, Genossen«, sagte der Kommissar, »dort, wo keine ideelle Klarheit herrscht, gibt es auch keine Disziplin. Das erklärt den heutigen Verstoß Korols.«
    Er überlegte und ergänzte: »Ein gemeiner Verstoß von Korol, ein gemeines, unsowjetisches Verhalten von Korol.«
    Hier konnte sich Sakabluka natürlich nicht einmischen; der Kommissar hatte Korols Verstoß mit einer politischen Frage in Zusammenhang gebracht, und Sakabluka wusste, dass kein einziger Truppenkommandeur es jemals wagen würde, sich in das Vorgehen politischer Organe einzumischen.
    »So sieht es also aus, Genossen«, sagte Berman, und nach kurzem Schweigen, um die Wirkung seiner Worte zu verstärken, schloss er: »Die Verantwortung für diese Gemeinheit trägt der unmittelbar Schuldige, doch auch ich trage sie, der Regimentskommissar, der es nicht verstanden hat, dem Flieger Korol dabei zu helfen, das Rückständige, Abstoßende, Nationalistische in sich auszumerzen. Die Sache ist ernster, als sie mir zunächst erschien, deshalb werde ich Korol jetzt nicht für den von ihm begangenen Verstoß gegen die Disziplin bestrafen. Ich nehme jedoch die Aufgabe auf mich, den Unterleutnant Korol umzuerziehen.«
    Alle lockerten sich, setzten sich bequemer hin und spürten: Es war vorüber.
    Korol schaute Berman an, und in seinem Blick war etwas, was Berman das Gesicht verziehen, mit den Achseln zucken und sich abwenden ließ.
    Am Abend sagte Solomatin zu Viktorow: »Siehst du, Ljonja, so ist es immer bei denen – unter der Decke halten sie alle zusammen. Wärst du oder Wanja Skotnoi in den Schlamassel geraten, Berman hätte dich in die Strafeinheit befördert, da kannst du Gift drauf nehmen.«
    38
    Abends im Unterstand schliefen die Flieger nicht; sie lagen auf ihren Pritschen, rauchten und unterhielten sich. Skotnoi trank nach dem Abschiedsabendessen die letzten Tropfen aus und sang:
    »Es schmiert das Flugzeug trudelnd ab,
    Es heult, fliegt an die Brust der Erde.
    Nicht weinen, Liebste, bleibe still,
    vergiss mich, weil ich es so will.«
    Welikanow hatte es doch nicht ausgehalten und sich verplappert. So hatten die Flieger erfahren, dass ihr Regiment vor Stalingrad verlegt wurde.
    Der Mond war über dem Wald aufgegangen und schimmerte als unruhiger Fleck zwischen den Bäumen hindurch. Das zwei Kilometer vom Flugplatz entfernte Dorf lag still und dunkel da, wie in Asche gehüllt. Die Flieger saßen vor den Eingängen zu ihren Unterständen und suchten mit den Augen die Wunderwelt der Bodenrichtungspunkte ab. Viktorow betrachtete die schwachen Schatten, die das Mondlicht von den Flügeln und Hecks der Jaks warf, und sang leise mit dem Sänger mit:
    »Sie ziehen uns aus der Maschine,
    Den Leichnam tragen sie im Arm.
    Zum Himmel schwingen sich die Sperber,
    Begleiten unsern letzten Gang.«
    Die, die auf den Pritschen lagen, unterhielten sich. Die Sprecher waren im Halbdunkel nicht zu sehen, doch sie erkannten einander an der Stimme, antworteten, ohne Namen zu nennen, auf Fragen und stellten Fragen.
    »Demidow hat selbst um den Einsatz ersucht; ohne Luft fiel er vom Fleisch.«
    »Weißt du noch, vor Rschew, als wir den Petljakows Geleitschutz gegeben haben, sind acht ›Messer‹ über ihn hergefallen; er hat den Kampf aufgenommen und sich siebzehn Minuten lang gehalten.«
    »Er sang immer beim Fliegen. Jeden Tag fallen mir seine Lieder ein. Er sang sogar Lieder von Wertinski.«
    »Der hatte Niveau, war eben ein Moskauer!«
    »Ja, und nicht mal in der Luft legte er das ab. Immer hat er sich um die Zurückgebliebenen gekümmert.«
    »Du hast ihn ja gar nicht gut gekannt.«
    »Doch. Den Partner lernst du kennen, wenn du mit ihm fliegst. Mir hat er sein wahres Wesen gezeigt.«
    Skotnoi hatte die

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