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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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Fritz losgegangen, hab ihn in Brand gesteckt! Ich seh, er schüttelt den Kopf – das war ein harter Brocken! Auf fünfundzwanzig Meter Entfernung hab ich ihn mit der Kanone abgeschossen.«
    »Ja, überhaupt muss man sagen – der Deutsche mag den Kampf in der Horizontalen nicht, er versucht immer, in die Vertikale überzugehen.«
    »Da hast du aber gründlich danebengehauen!«
    »Wieso?«
    »Na, wer weiß denn das nicht? Das wissen alle, sogar die Mädchen im Dorf: Scharfe Kurven meidet er wie die Pest.«
    Dann wurde es still, und jemand sagte: »Morgen früh in der Dämmerung fliegen wir weg, und Demidow wird hier allein zurückbleiben.«
    »Also, Jungs, wer geht jetzt wohin? Ich geh zur Sparkasse – muss noch ins Dorf.«
    »Einen Abschiedsbesuch machen? Also los, gehen wir!«
    Nachts war alles ringsum – der Fluss, die Felder, der Wald – so still und schön, dass man glauben konnte, auf der Welt gebe es keine Feindschaft, keinen Verrat, keinen Hunger, kein Alter, sondern nur Liebesglück. Wolken zogen vor den Mond, er war von grauem Dunst umflort, und Dunst lag auf der Erde. Kaum einer verbrachte diese Nacht in seinem Unterstand. Am Waldrand und an den Zäunen im Dorf leuchteten ab und zu weiße Kopftücher auf, erklang ein Lachen. In der Stille zitterte ein Baum, erschreckt durch einen nächtlichen Traum, und manchmal murmelte undeutlich das Wasser im Fluss und glitt dann lautlos weiter.
    Es nahte die bittere Stunde für die Liebe, die Stunde der Trennung, die Stunde des Schicksals; die eine, die weinte, würde man schon am nächsten Tag vergessen; andere würde der Tod trennen; manch einem würde das Schicksal Treue und ein Wiedersehen bescheiden.
    Da kam der Morgen. Die Motoren heulten auf, der flache Wind aus den Flugzeugen presste das zerzauste Gras zu Boden, und Abertausende von Wassertropfen erzitterten in der Sonne … Die Kampfflugzeuge erklommen eines nach dem anderen den blauen Berg, nahmen ihre Kanonen und Maschinengewehre in den Himmel mit, kreisten, warteten auf die Kameraden, formierten sich zu Staffeln.
    Und das, was in dieser Nacht so unermesslich erschienen war, entfernt sich, versinkt im Blau des Himmels. Man sieht die kleinen Würfel der Häuser, die Rechtecke der Gemüsegärten; sie ziehen unter dem Flügel des Flugzeugs davon … Schon ist der mit Gras überwachsene Pfad nicht mehr zu sehen und auch nicht mehr Demidows Grab … Wir fliegen! Jetzt gerät der Wald in schwankende Bewegung und gleitet unter den Flügeln des Flugzeugs davon.
    »Guten Tag, Vera!«, sagte Viktorow.
    39
    Um fünf Uhr morgens begannen die Leute vom Stubendienst die Häftlinge zu wecken. Es herrschte stockdunkle Nacht; die Baracken wurden von dem unbarmherzigen Licht angestrahlt, mit dem Gefängnisse, Bahnhöfe an Eisenbahnknotenpunkten und Aufnahmeräume in städtischen Krankenhäusern beleuchtet werden.
    Tausende zogen hustend und spuckend die wattierten Hosen an, wickelten sich Fußlappen um die Füße, kratzten sich Hüften, Bauch und Hals.
    Wenn die Häftlinge, die auf den oberen Pritschen schliefen, beim Herunterklettern mit ihren Füßen an die Köpfe der sich unten Ankleidenden stießen, so schimpften die nicht, sondern drehten schweigend den Kopf zur Seite oder schoben die Füße, die sie störten, einfach mit der Hand weg.
    Dieses nächtliche Erwachen der Menschenmasse, diese sich hastig hin und her bewegenden Köpfe und Rücken, diese Schwaden von Machorkarauch in dem flackernden, grellen elektrischen Licht hatten etwas zutiefst Unnatürliches. Die Taiga war über Hunderte von Quadratkilometern hinweg in frostiger Stille erstarrt, das Lager aber mit Menschen vollgestopft, voller Bewegung, Rauch und Licht.
    Die ganze erste Hälfte der Nacht über hatte es geschneit, und die Schneewehen blockierten die Barackentüren und deckten die Wege zu den Gruben zu.
    Gedehnt heulten die Grubensirenen, und vielleicht stimmten irgendwo in der Taiga Wölfe in ihr weithin hallendes, freudloses Heulen ein. Auf dem Lagerfeld bellten heiser die Schäferhunde, tönte dumpf das Rattern der Traktoren, die die Wege zu den Bergwerksgebäuden räumten, erklangen die Zurufe der Begleitposten.
    Der trockene Schnee bekam im Licht der Scheinwerfer einen zarten, sanften Glanz. Begleitet von ununterbrochenem Hundegebell, begann auf dem weiten Lagerplatz der Appell. Die Stimmen der Begleitposten klangen erkältet und gereizt … Doch da strömte auch schon der breite, überquellende, lebendige Fluss auf die Fördertürme der Gruben zu,

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