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Leben und Schicksal

Leben und Schicksal

Titel: Leben und Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Grossman
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… Verschwinden würde dieses für ihn seltsam ungewohnte Dorf, das so ganz dem Wald zugewandt war, wie die Arbeitersiedlung, in der er geboren und aufgewachsen war, ganz auf die Fabrik bezogen war.
    Dann würde das Jagdflugzeug landen, und im Nu würde ein neuer Flugplatz entstehen, er käme in eine neue Dorf- oder Industriesiedlung mit ihren alten Frauen und jungen Mädchen, mit ihren Tränen und Scherzen, mit ihren von Kampfspuren gezeichneten Katern, mit ihren Geschichten über die Vergangenheit, über die totale Kollektivierung, mit ihren schlechten und guten Quartiergeberinnen.
    Und der schöne Solomatin würde am neuen Standort in seiner Freizeit die Mütze aufsetzen, durch die Straßen gehen, zur Gitarre singen und ein Mädchen um den Verstand bringen.
    Der Regimentskommandeur, Major Sakabluka, bronzefarbenes Gesicht und weißer, kahlrasierter Schädel, verlas vor den Fliegern den Befehl zum Ausrücken aus der Reserve, wobei er mit seinen fünf Rotbannerorden klimperte und auf krummen Beinen von einem Fuß auf den anderen trat; dann sagte er, dass er ihnen seinerseits den Befehl erteile, in den Unterständen zu übernachten, die Marschfolge werde vor dem Abflug auf dem Flugplatz bekanntgegeben.
    Er fügte hinzu, dass es untersagt sei, sich aus den Flugplatzunterständen zu entfernen, und dass diejenigen, die gegen diesen Befehl verstoßen würden, nichts zu lachen hätten.
    »Damit ihr mir in der Luft nicht schlaft, sondern vor dem Flug gut ausgeschlafen seid«, erklärte er.
    Dann sprach der Regimentskommissar Berman, der wegen seiner Arroganz äußerst unbeliebt war, obgleich er mit klugen und schönen Worten über die Feinheiten des Flugwesens zu reden verstand. Besonders schlecht wurde das Verhältnis zu Berman nach dem Vorfall mit dem Flieger Muchin. Zwischen Muchin und der schönen Funkerin Lida Woinowa hatte sich eine Liebesgeschichte angesponnen. Ihre Romanze gefiel allen – kaum hatten die beiden eine freie Minute, so trafen sie sich und gingen am Fluss spazieren, immer Hand in Hand. Man machte sich nicht einmal über sie lustig, so klar war alles an ihrer Beziehung.
    Plötzlich kam das Gerücht auf, und dieses Gerücht ging von Lida selbst aus – sie hatte es ihrer Freundin erzählt, und über die Freundin hatte es das Regiment erfahren –, dass Muchin während des üblichen Spaziergangs seine Geliebte vergewaltigt und mit seiner Schusswaffe bedroht habe.
    Nachdem Berman von diesem Fall Kenntnis erhalten hatte, geriet er in Wut und erreichte mit viel Energie, dass Muchin vor das Kriegsgericht gestellt und binnen zehn Tagen zum Tod durch Erschießen verurteilt wurde.
    Vor der Urteilsvollstreckung flog das Mitglied des Kriegsrats der Luftstreitkräfte Generalmajor der Luftwaffe Alexejew in das Regiment ein und begann sich über die Umstände von Muchins Vergehen Klarheit zu verschaffen. In größte Bestürzung versetzte ihn Lida, als sie ihn auf Knien anflehte, zu glauben, dass alles, was gegen Muchin vorgebracht werde, eine plumpe Lüge sei.
    Sie erzählte ihm den ganzen Hergang der Geschichte: Sie und Muchin lagen auf einer Waldlichtung und küssten sich, dann sei sie eingenickt, und Muchin, der ihr einen Streich habe spielen wollen, habe ihr unbemerkt den Revolver zwischen die Knie gesteckt und in die Erde geschossen. Sie sei aufgewacht und habe geschrien, dann hätten sie und Muchin sich wieder geküsst. Erst in der Wiedergabe des Geschehens durch die Freundin, der Lida alles erzählt habe, habe die Geschichte diesen grausamen Anstrich erhalten. Wahr an dieser Geschichte sei einzig und allein ihre – ungewöhnlich innige – Liebe zu Muchin. Alles wurde im Guten geregelt, das Urteil aufgehoben, Muchin in ein anderes Regiment verlegt.
    Seitdem konnten die Flieger Berman nicht leiden.
    Einmal hatte Solomatin in der Kantine gesagt, dass ein Russe so nicht gehandelt hätte.
    Irgendeiner von den Fliegern, es war wohl Moltschanow, hatte erwidert, dass es in allen Nationen schlechte Menschen gebe.
    »Nimm doch mal Korol, der ist Jude, aber mit dem im Paarverband zu fliegen ist gut. Du gehst zum Einsatz und weißt – am Heck sitzt ein Freund, auf den du dich verlassen kannst«, sagte Wanja Skotnoi.
    »Na, was ist denn Korol für ein Jude?«, sagte Solomatin. »Korol ist einer von uns, in der Luft vertraue ich ihm mehr als mir selbst. Über Rschew hat er mir eine ›Messer‹ direkt unter dem Heck weggefegt. Und zweimal habe ich einen unglückseligen, angeschlagenen Fritz wegen Borja Korol

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