Lebendig und begraben
voller Erwartung den langen Feldweg hinunter.
Drecksarbeit machte ihm keinen Spaß, aber manchmal hatte er keine Wahl. Dann erledigte er den Job effizient und ohne Zögern. Roman Nawrozow bezahlte ihn außerordentlich gut, und wenn er verlangte, dass bestimmte Maßnahmen ergriffen wurden, dann würde Chuzhoi tun, was auch immer erforderlich war. Herrgott, schließlich war er sogar nach Boston gefahren, um einen kleinen Drogendealer direkt vor der Nase des FBI auszuschalten! Er hatte zu viel Aufmerksamkeit auf sich gelenkt und würde das Land sehr bald verlassen müssen. Er konnte auch irgendwo sonst auf der Welt für Nawrozow arbeiten.
Nein, diese Art von Arbeit lag ihm nicht besonders. Aber der Auftragnehmer, der
Zek,
ein Verurteilter, der in Kopeiskgesessen hatte, war dafür bekannt, so gern zu morden, dass er den Prozess in die Länge zog, um länger etwas davon zu haben.
Im Arbeitsumfeld dieses Mannes mochten solch verstörende Anzeichen von Sadismus als Qualifikation gelten. Vielleicht waren sie sogar notwendig. Ihm war alles zuzutrauen.
Jedenfalls vermittelten sie Chuzhoi ein extrem unbehagliches Gefühl.
Darüber hinaus wusste Chuzhoi nur sehr wenig über den
Zek.
Natürlich kannte er die Tätowierung mit der Eule, die seinen Kopf und seinen Hals verunstaltete. Er wusste, dass in der Sova-Bande die brutalsten Insassen von Kopeisk versammelt waren.
Chuzhoi, der noch im alten KGB ausgebildet worden war und später bei ihrem Haupterben, der Nachfolgeorganisation FSB, die schmierigen Sprossen der Karriereleiter erklommen hatte, war solchen Typen bei mehreren Gelegenheiten begegnet und hatte ein paar von ihnen hinter Gitter gebracht. Die erfolgreichsten Serienmörder waren wie dieser
Zek,
aber man erwischte sie nur selten.
Der Kerl wusste, dass er den Leuten mit seinem rasierten Schädel, dem starrenden Blick, der grotesken Tätowierung und den schlechten Zähnen Angst einjagte, und es war unverkennbar, dass ihm das gefiel. Für alle anderen hatte er nur Verachtung übrig. Er hielt sich selbst für den Vertreter einer weiter fortgeschritteneren Spezies.
Deshalb würde er nie auf die Idee kommen, dass sich ein ausgebuffter alter
Silovik,
ein alter KGB-Mann, ein lausiger kleiner Bürokrat, unterstehen würde, das zu versuchen, was Chuzhoi während ihres Treffens vorhatte.
Das Überraschungsmoment war Chuzhois einziger Trumpf gegen dieses eiskalte Monstrum.
Ein überwucherter Rasen kam ins Blickfeld: verwildert, fast wie ein Dschungel. Mitten drin befand sich ein kleines, niedliches Schindelhaus. Er parkte seinen schwarzen Audi auf dem Kiesweg der Einfahrt und ging zur Vordertür. Es hatte zu regnen begonnen.
Chuzhoi trug denselben schicken Anzug, den er auch schon in Boston getragen hatte und der ihm exakt auf den muskulösen Körper geschneidert worden war. Er bewegte sich auf seine gewohnte, bestimmende Art und Weise. Sein langes graues Haar hing bis auf seinen Hemdkragen herunter.
Seine zuverlässige Makarow .380 war in einem Halfter hinten an seinem Rücken verborgen.
Plötzlich schwang die grün gestrichene Tür auf, und ein Gesicht tauchte aus der Dunkelheit auf. Der rasierte Schädel, das intensive Starren, die tief gefurchte Stirn – Chuzhoi hatte fast vergessen, wie furchterregend der Mann aussah.
Da lag etwas in seinen bernsteinfarbenen Augen. Es waren die Augen eines Wolfes, wild, blutrünstig und erbarmungslos. Trotzdem waren die Augen zugleich auch kalt, diszipliniert und berechnend. Sie musterten die Aknenarben auf seinen Wangen.
»Jetzt hat es auch noch angefangen zu regnen«, sagte Chuzhoi. »Es soll einen schlimmen Sturm geben.«
Der
Zek
sagte nichts. Er glotzte nur und drehte sich um. Chuzhoi folgte ihm in sein düsteres Quartier. Das Haus roch so muffig wie ein Ort, der lange verschlossen gewesen war.
Befand sich das Mädchen hier?
»Haben Sie keinen Strom?«, fragte Chuzhoi.
»Hinsetzen.« Der
Zek
zeigte auf einen Lehnstuhl mit hoher Rückenlehne. Auf seiner Polsterung befanden sich kleine Blümchen, und er sah aus, als hätte ihn eine alte Dame ausgesucht.
Natürlich hatte der
Zek
kein Recht, so mit ihm zu reden,aber Chuzhoi gestattete ihm seine Freiheiten. »Ist das Mädchen hier?«, fragte er und ruckelte unbequem auf seinem Stuhl. Es war so dunkel, dass er kaum das Gesicht dieses Psychopathen erkennen konnte.
»Nein.« Der
Zek
blieb stehen. »Was soll dieses Treffen?«
Chuzhoi entschied sich, auf die knappe Ansprache ebenso knapp zu antworten.
»Die Operation wurde
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