Lebendig und begraben
Vorfall, riefmeine Mutter mich an; damals arbeitete ich noch in Washington, im Verteidigungsministerium. Sie bat mich, nach New Hampshire zu fahren und mich mit Alexa in Exeter zu unterhalten.
Ich spürte Alexa schließlich auf dem Spielfeld des Stadions auf und sah ihr eine Weile zu, wie sie Feldhockey spielte. Obwohl sie sich selbst nicht gerade für eine Sportskanone hielt, bewegte sie sich mit einer drahtigen Anmut. Und sie spielte mit ungeheurer Konzentration. Sie besaß die seltene Fähigkeit, vollkommen im Fluss des Spiels aufzugehen.
Nur reden konnte man nicht so einfach mit ihr, aber da ich Frankie Hellers Sohn war und sie meine Mutter abgöttisch liebte und ich nicht ihr Dad war, gelang es mir schließlich, zu ihr durchzudringen. Sie hatte den Schock über diese Entführung immer noch nicht verarbeitet. Ich sagte ihr, das wäre normal, und ich würde mir Sorgen um sie machen, wenn sie nicht so schreckliche Angst wegen dieser Sache hätte. Ich erklärte ihr auch, wie großartig ich es fände, dass sie so trotzig war.
Sie sah mich erst ungläubig, dann misstrauisch an. Was für eine Nummer zog ich da wohl mit ihr ab?
Ich versicherte ihr, es wäre mir ernst. Trotz war etwas Großartiges. Dadurch lernte man, sich zur Wehr zu setzen. Ich erklärte ihr, dass Furcht ein ungeheuer nützlicher Instinkt ist, weil er ein Warnsignal darstellt. Furcht sagt uns, dass wir uns in Gefahr befinden. Wir müssen auf sie hören, sie nützen. Ich schenkte ihr sogar ein Buch mit dem Titel
»Die Gabe der Furcht«
, obwohl ich bezweifle, dass sie es jemals gelesen hat.
Ich sagte ihr, sie wäre nicht nur ein Mädchen, sondern ein schönes und reiches Mädchen, was bedeutete, es gäbe drei Faktoren, die gegen sie sprächen. Ich brachte ihr bei, auf Gefahrensignale zu achten, und dann zeigte ich ihr einigegrundlegende Selbstverteidigungstechniken, ein paar Griffe aus dem Kampfsport. Nichts Aufwendiges, aber für den Anfang genügte es. Nur gefiel es mir überhaupt nicht, den betrunkenen Exeter-Studenten spielen zu müssen, der versuchte, sie in die Enge zu treiben.
Also brachte ich sie zu einem Dojo außerhalb von Boston und gab ihr eine Einführung in die Bujinkan-Selbstverteidigungstechnik. Mir war klar, dass diese Disziplin ihr bestimmt sehr gut liegen würde, weil sie ihr Selbstbewusstsein stärkte und außerdem ein gesundes Ventil für die Aggressionen bot, die sich in ihr aufgestaut hatten. Immer wenn ich in Boston war und sie vom College nach Hause kam, trafen wir uns und übten. Nach einer Weile begannen wir sogar, uns zu unterhalten.
Allerdings war es nicht die Lösung, die ich mir erhofft hatte. Alexa machte weiter Dinge, von denen sie wusste, dass sie sie in Schwierigkeiten bringen würden; sie rauchte, sie trank, sie probierte fast alles aus. Marcus musste sie ein Jahr lang auf eine Art Besserungsanstalt schicken. Wer weiß schon, warum sie eine so schwierige Periode durchmachte? Vielleicht lag es tatsächlich an dem Trauma der Entführung. Genauso gut jedoch konnte es auch eine Reaktion darauf sein, dass ihre Mutter weggelaufen war.
Oder aber es lag einfach nur daran, dass sie ein Teenager war.
»Was sollen all diese Sicherheitsmaßnahmen?«, erkundigte ich mich. »Bei meinem letzten Besuch war das alles noch nicht installiert.«
Marcus zögerte ein paar Sekunden. »Die Zeiten haben sich geändert. Da draußen laufen immer mehr Verrückte herum. Und ich habe noch mehr Geld. Newsweek hat eine Geschichte über mich gebracht, ebenso wie
Forbes, Fortune,
das Kabelfernsehen … Ich meine, ich bin schließlich kein Mauerblümchen.«
»Hast du irgendwelche Drohungen bekommen?«
»Drohungen? Du meinst, ob jemand mir auf der Straße eine Knarre vor die Nase gehalten und gedroht hat, mir das Hirn wegzublasen? Nein. Aber ich habe auch nicht vor, darauf zu warten.«
»Also ist es nur eine Vorsichtsmaßnahme.«
»Und wenn schon! Hältst du es für falsch, wenn ich Vorsichtsmaßnahmen ergreife?«
»Natürlich nicht. Ich wollte nur wissen, ob du vielleicht eine spezielle Warnung bekommen hast, oder ob jemand bei dir eingebrochen ist. Ob irgendetwas passiert ist, das dich dazu gebracht hat, deine Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen.«
»Ich habe ihn dazu gebracht«, mischte sich eine weibliche Stimme ein.
Belinda Marcus hatte die Küche betreten. Sie war eine große, schlanke Blondine und unglaublich schön. Und dabei eiskalt. Sie war schätzungsweise um die vierzig, eine sehr gut erhaltene Vierzigerin. Eine
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