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Lebendig und begraben

Lebendig und begraben

Titel: Lebendig und begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finder Joseph
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mehr als das. Sie und ich, wir hatten beide eine besondere Begabung dafür, Gesichter und Verhaltensmuster zu lesen und intuitiv zu spüren, ob uns Leute die Wahrheit erzählten. Natürlich irrten wir uns hin und wieder, und ganz bestimmt waren wir keine menschlichen Lügendetektoren. Es war einfach nur eine angeborene Begabung, wie von Natur aus gut zu malen oder Geschichten zu erzählen. Wir beide haben das Talent, Lügen aufzuspüren.
    »Nein«, sagte ich. »Ich glaube nicht, dass sie Alexa freilassen.«

55. KAPITEL
    Sie weinte wieder, und ich bereute meine Offenheit sofort.
    »Ich tue alles, was in meiner Macht steht, um sie lebendig zurückzuholen«, sagte ich. »Das verspreche ich dir.«
    Sie hielt mit beiden Händen meine Rechte. Ihre Handwar knochig, aber die Haut war weich. »Hol sie zurück, Nick. Bitte! Wirst du das für mich tun?«
    »Ich kann nur versprechen, dass ich mein Bestes geben werde.«
    »Mehr verlange ich auch nicht«, sagte sie und drückte wieder meine Hand.
    Als ich aufstand, knurrte mich wieder der Höllenhund an, ohne sich die Mühe zu machen, sich zu bewegen. So als wollte er mich daran erinnern, dass ich den Zorn des Untieres zu spüren bekäme, wenn ich seine Herrin enttäuschte.
     
    Auf dem Weg nach draußen machte ich an Gabes Zimmer halt. Überall lagen in großen Stapeln seine Lieblingscomics herum, unter anderem viele Ausgaben von
Watchmen,
die gesammelten Comics von Will Eisner und Brian Azzarellos
Joker.
    Es war bemerkenswert, wie schnell sein Übergangsquartier hier exakt den gleichen aufreizenden Geruch angenommen hatte wie sein Zimmer zu Hause in Washington. Es roch wie ein Affenhaus, dieser Teenagergeruch von Schweiß, schmutziger Wäsche und wer weiß was noch.
    Gabe saß auf seinem Bett, hatte die Kopfhörer aufgesetzt und zeichnete etwas in sein Skizzenbuch. Er trug ein rotes T-Shirt, eine seltene Abwechslung von seiner üblichen schwarzen Kluft. Vorn auf dem Shirt war die Zeichnung eines stilisierten, explodierenden Computers, darüber das Wort KABLAAM! in einer Comic-Schrift. Ich setzte mich auf den Stuhl, der neben dem Schreibtisch stand. Er wirkte winzig unter dem riesigen Monitor, wahrscheinlich ein Geschenk meiner Mutter, der Xbox-360-Videokonsole und dem drahtlosen Controller. Als Gabe bemerkte, dass sich neben seinem Bett etwas bewegte, nahm er die Kopfhörer ab. Ich hörte laute Gitarrenriffs und eine krächzende Stimme.
    »Nett«, sagte ich. »Was hörst du gerade?«
    »Eine alte Band namens
Rage Against the Machine
. Die waren total abgefahren und brillant. Sie haben sich mit dem westlichen Kulturimperialismus befasst und mit den Missständen im Amerika der Konzerne.«
    »Hey, klingt gut. Lass mich mal raten. Hat dich Jillian darauf gebracht?«
    Er wich meinem Blick aus. »Yep.«
    »Wie heißt der Song?«
    »›Killing in the Name‹. Ich glaube nicht, dass er dir gefallen würde.«
    »Nein?«
    »Du würdest es nicht verstehen.«
    »Ist das der Song, in dem das F-Wort zwanzigmal in … lass mal überlegen … fünf Zeilen vorkommt?«
    Er sah mich verblüfft an.
    »Du hast recht«, sagte ich. »Ist nicht so mein Ding.«
    »Da hast du’s.«
    »Ich bin kein großer Fan der Dropped-D-Stimmung. Aber warte mal ab, was deine Nana dazu sagt.«
    »Nana ist cooler, als du tust.«
    »Ich kenne sie aber schon länger«, stichelte ich.
    »Nick, ich … ich habe gehört, was du zu ihr gesagt hast.«
    »Du hättest nicht lauschen dürfen«, tadelte ich ihn. Allerdings spielte das jetzt kaum noch eine Rolle.
    »Sie hat geschrien, Onkel Nick. Ich habe sie trotz meiner Kopfhörer gehört, okay? Ich meine, was erwartest du von mir? Soll ich das ignorieren? Warum hast du sie zum Weinen gebracht?«
    Ich bezweifelte, dass er durch die Musik hindurch irgendetwas hören konnte. Er hatte gelauscht, schlicht und einfach.
    »Okay«, sagte ich. »Pass mal auf …«
    »Wo ist Alexa?«
    »Das wissen wir noch nicht.«
    »Aber sie ist entführt worden, oder?«
    Ich nickte. »Hör zu, Gabe. Dir fällt hier eine besondere Aufgabe zu. Du musst stark sein, okay? Es wird für deine Nana richtig hart werden.«
    Er nickte feierlich mit zusammengepressten Lippen. »Ja. Für mich etwa nicht?«
    »Es ist für uns alle nicht leicht.«
    »Wer steckt dahinter?«
    »Wir sind noch nicht sicher.«
    »Weißt du, dass sie einmal nur für ein paar Stunden gekidnappt wurde?«
    Ich nickte.
    »Glaubst du, es sind dieselben Leute?«
    »Ich weiß nicht, Gabe. Wir haben von der Entführung erst vor ein paar Stunden

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