Lebendig und begraben
erfahren. Wir wissen noch gar nichts. Wir haben ein Video gesehen, in dem sie spricht, aber das ist bis jetzt so gut wie alles.«
»Du weißt nicht, wo sie ist?«
»Noch nicht. Ich arbeite daran.«
»Kann ich das Video sehen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Ich gab ihm die Antwort, mit der man Teenager seit dem Anbeginn aller Zeiten wütend machen kann. »Darum nicht.«
Er reagierte genau so, wie zu erwarten gewesen war, mit finsterem Blick und aufeinandergepressten Lippen.
»He, wie wäre es, wenn ich dir Autofahren beibringe, sobald diese Geschichte vorbei ist?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ja, schön«, antwortete er mürrisch. Aber ich konnte sehen, wie schwer es ihm fiel, mir nicht zu zeigen, wie sehr er sich darüber freute.
Mein Telefon klingelte. Ich warf einen Blick darauf: Dorothy.
Ich nahm das Gespräch entgegen. »He, bleiben Sie eine Sekunde dran.«
»Wer ist das?«, fragte Gabe. »Geht es um Alexa?«
»Ja«, sagte ich, »ich glaube schon.«
Ich umarmte ihn kurz und ging dann nach draußen zu meinem Wagen. »Was haben Sie rausgefunden?«, erkundigte ich mich.
»Ich habe mit Delta Air Lines gesprochen. Belinda hat nie für sie gearbeitet.«
Ich blieb mitten auf dem Parkplatz stehen. »Warum sollte sie in dem Punkt die Unwahrheit sagen?«
»Weil Marshall Marcus sie nie geheiratet hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, womit sie früher wirklich ihr Geld verdient hat.«
»Womit denn?«
Sie machte eine Pause. »Sie war ein Callgirl.«
56. KAPITEL
»Warum überrascht mich das nicht?«, fragte ich niemanden im Besonderen.
»Ich habe ihre Sozialversicherungsnummer durchlaufen lassen. Sieht aus, als wäre sie eine gescheiterte Schauspielerin. Sie hat mal eine Zeitlang in Lincoln Park Schauspielunterricht genommen, dann aber abgebrochen. War als ›Hostess‹«, ich konnte ihre Anführungszeichen geradezu spüren, »beim VIP Exxxecutive Service in der Nähe von Trenton angestellt. Exxxecutive wird mit drei X geschrieben.«
»Lass mich mal raten. Ein teurer Lady-Begleitservice.«
»Gibt es andere?«
»Na, immerhin hat sie etwas aus sich gemacht. Und sich hochgeheiratet. Und aus den Südstaaten ist sie wohl auch nicht, oder?«
»Genauer aus Süd-Jersey. Woodbine.«
Mein Blackberry piepte zweimal. Das Signal für eine eingegangene Textnachricht. Ich warf einen Blick auf das Display. Dort stand »15 Minuten«, und die exakten Koordinaten von einem Ort, der aussah wie der Parkplatz eines 7-Eleven-Shops in 73 Meilen Entfernung.
Absender der SMS war »18E« Kein Name, keine Telefonnummer.
Der Absender brauchte seinen Namen auch nicht zu nennen. 18E war eine Kennung der US-Army zur Bezeichnung von Spezialisten für Militär-Operationen. Eine Berufskennziffer. Und ein 18E war ein Communications-Sergeant bei den Special Forces.
George Devlin war ein 18E.
»Entschuldigen Sie, Dorothy«, meinte ich. »Ich muss einen alten Freund treffen.
»Woher wusstest du, dass ich nahe genug war, um es in fünfzehn Minuten hierher zu schaffen?«, fragte ich. »Wusstest du, wo ich war?«
George Devlin ignorierte meine Frage. Als ob es entweder zu kompliziert war oder aber zu offensichtlich, um es zu erklären. Er hatte seine Mittel und Wege, und dabei wollte er es belassen. Er drehte einen Computermonitor so hin, dass ich etwas sehen konnte. Der Bildschirm erhellte das abgedunkelte Innere seines Wohn- und Büromobils und betonte die tiefen Furchen, Krater und Mulden in seinem vernarbten Gesicht, das verschrammte Muskelgewebe und die groben Nähte. Es roch nach Essig, vermutlich von der Salbe, die er regelmäßig auftragen musste.
Auf dem Bildschirm erschien eine grün schimmernde, topografische Karte von Massachusetts. Ungefähr fünfzehn Meilen nordwestlich von Boston tauchte ein blinkender roter Kreis auf. Dann poppten drei verschlungene Linien in Weiß, Blau und Orange auf. Jede hatte ihren Ursprung an dem roten Kreis. Die blaue Linie führte in den Südosten nach Boston. Die orangefarbene Linie führte nach Westen. Die weiße Linie folgte der blauen Linie, steuerte auf Boston zu und lief dann zusammen mit der orangefarbenen nach Norden.
»Und das heißt?«
»Wenn du genau hinschaust«, antwortete er, »siehst du, dass jede Linie aus Punkten besteht. Die Punkte sind Funkzellentreffer der drei Handys, die Alexa Marcus, Mauricio Perreira und einer unbekannten Person gehören, die wir Mr. X nennen werden.«
»Wer hat welche Farbe?«
»Blau steht für den guten Mauricio. Weiß steht für Alexa und
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