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Lebendig und begraben

Lebendig und begraben

Titel: Lebendig und begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finder Joseph
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KAPITEL
    Ich hatte damit gerechnet, dass sie sich aufregen würde.
    Aber auf das Ausmaß ihrer Reaktion war ich nicht vorbereitet gewesen. Sie schien zu zerbrechen, auf eine Weise in sich zusammenzufallen, wie ich es noch nie zuvor bei ihr erlebt hatte.
    Sie stieß einen gequälten Schrei aus, und Tränen strömten ihr aus den Augen. Ich nahm sie in die Arme, aber es dauerte einige Minuten, bis sie wieder sprechen konnte.
    »Ich weiß, dass du an ihr hängst …«
    »An ihr
hängen
? Oh, Darling, ich liebe das Mädchen.« Ihre Stimme bebte.
    »Ich weiß.«
    Sie konnte eine Weile nicht reden. Dann sagte sie: »Wie viel verlangen sie?«
    »Sie müssen ihr einen vorgefertigten Text gegeben haben. Sie sagen, sie wollen etwas, das Mercury heißt. Marshall sagt, er hat keine Ahnung, was das sein soll.«
    »Mercury?«
    »Du hast jahrelang für ihn gearbeitet. Der Name muss dir doch in einer Akte, einem Brief oder so etwas schon einmal begegnet sein.«
    »Mein Gedächtnis funktioniert zum Glück noch sehr gut, Gott sei Dank. Aber da klingelt bei mir nichts. Wenn Marshall auch nur die leiseste Ahnung hätte, was Mercury ist, würde er es ihnen augenblicklich geben. Er würde sein ganzes Vermögen aufbringen, um seine Tochter zurückzubekommen.«
    »Wenn er noch ein Vermögen hätte.«
    »Von finanziellen Problemen weiß ich nichts. Er hat mir gegenüber Schwierigkeiten nie erwähnt. Allerdings reden wir auch nicht mehr viel miteinander. Wie weit hat es sich denn schon herumgesprochen, dass er …?«
    »Ruiniert ist? Bis jetzt konnte er es noch verheimlichen. Aber ich bin überzeugt, dass es jederzeit herauskommen kann. Vertraut er dir nicht mehr?«
    »Nicht, seit Belinda eingezogen ist.«
    »Dann hat sich offenbar einiges verändert.«
    »Darling, Marshall hat früher schon Rücksprache mit mir gehalten, bevor er auch nur aufs Klo gegangen ist. Das ist der Unterschied zwischen ihm und deinem Vater. Einer der vielen Unterschiede. Marshall hat tatsächlich etwas auf mein Urteil gegeben.« Es tat weh, das hören zu müssen, aber meine Mutter hatte schon immer einen Abscheu vor Selbstmitleid gehabt, und sie sagte es ganz beiläufig.
    »Glaubst du, dass sie dich absichtlich von ihm fernhält?«
    Meine Mutter atmete tief ein. Die rote Glut an der Spitze ihrer Zigarette glomm knisternd auf und zischte. »Ich war zwei Mal zum Abendessen eingeladen, und jedes Mal fiel sie mir um den Hals und erzählt mir in ihrem zuckersüßen Georgia-Akzent: ›Wir zwei müssen
unbedingt
mal zusammen in der Newbury Street shoppen gehen, nur du und ich‹, und ›Warum sehen wir dich nicht öfter?‹ Aber jedes Mal, wenn ich Marshall zu Hause anrufe, geht sie ans Telefon und sagt, sie würde ihm ausrichten, dass ich angerufen hätte. Ich bezweifle allerdings, dass sie das jemals getan hat.«
    »Und E-Mails?«
    »Sie hat seine E-Mail-Adresse geändert. Die neue habe ich nie bekommen. Angeblich findet sie, er müsse vorsichtiger werden, nicht mehr so leicht erreichbar sein. Also muss ich Belinda E-Mails schicken, und sie ist es auch, die sie für ihn beantwortet.«
    »Alexa kommt mit ihr auch nicht so gut aus.«
    Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Oh, diese Frau ist giftig. Alexa hat sich ständig über sie beschwert, und ich habe sie immer bekniet, dass sie ihr eine Chance geben soll unddass es nicht leicht sei, eine Stiefmutter zu sein. Solange, bis ich die Frau getroffen und Alexa begriffen habe. Ich glaube, Belinda hasst ihre Stieftochter. Jedenfalls habe ich so etwas wie sie noch nie gesehen.«
    »Aber sie erzählt immer nur, wie sehr sie Alexa bewundert.«
    »Vor anderen, ja. Wenn sie mit Alexa allein ist, dann gibt sie sich keine Mühe, ihre Gefühle zu verbergen.«
    »Das ist möglicherweise nicht das Einzige, was sie verbirgt. Hast du dich nicht bei Marshall darüber beschwert, so abgewürgt zu werden?«
    »Natürlich habe ich das getan. Am Anfang. Aber er hat nur mit den Schultern gezuckt und gemeint: ›Ich habe das Diskutieren aufgegeben.‹«
    »Merkwürdig.«
    »Mir ist aufgefallen, dass es vielen verheirateten Männern so geht, wenn sie älter werden. Ihre Frauen fangen zuerst an, die Zuständigkeit für das Sozialleben zu beanspruchen. Dann für die Freundschaften. Die Ehemänner treten alle Verantwortlichkeiten an sie ab, entweder, weil sie zu viel zu tun haben oder weil sie erst mal nicht die Initiative übernehmen wollen, und ehe sie sich versehen haben, stehen sie völlig unter der Fuchtel ihrer besseren Hälfte. Sogar reiche und

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