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Lebendig und begraben

Lebendig und begraben

Titel: Lebendig und begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finder Joseph
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gebogenen Fingern, so als wäre der Geist von Betty Davis in sie gefahren.
    Als ich eintrat, stand das Tier auf, um uns zu folgen. Die Klauen klickten auf dem Holzfußboden. Lilly blieb so dicht bei mir, dass sie ständig gegen meine Beine stieß. Das wirkte wie eine absichtliche Warnung: Sie konnte mir jederzeit die Kehle herausreißen. Sie wartete nur darauf, dass ihr Frauchen für ein paar Sekunden den Raum verlassen würde.
    »Ist Gabe da?«, erkundigte ich mich.
    »Er ist in seinem Zimmer und spielt so ein Computerspiel, wo man ein Soldat ist und Leute umbringt. Es gibt viele Bomben und Explosionen. Ich habe ihm gesagt, er soll seine Kopfhörer aufsetzen. Der Lärm fing an, mir auf die Nerven zu gehen.«
    Das passte mir gut. Ich wollte nicht, dass er mitbekam, was ich zu sagen hatte. »Willst du Gabe wirklich diesem ganzen Zigarettenqualm aussetzen?«, fragte ich.
    Meine Mutter blinzelte mich mit zusammengekniffenen Augen an, während sich ein Rauchfähnchen zwischen uns schlängelte. »Hast du schon mal ›Call of Duty: Modern Warfare‹ gesehen? Ich glaube, Zigarettenrauch ist im Moment eher das Geringste von Gabes Problemen.«
    »Na schön.« Ich legte es nie darauf an, mich mit meiner Mutter zu streiten.
    »Hör mal, mein Darling, ich weiß ja, dass du viel zu tunhast, aber glaubst du, du könntest dir mal etwas Zeit nehmen, um ihm das Autofahren beizubringen?«
    »Er will fahren lernen?«
    »Er hat gerade die Genehmigung erhalten, Autofahren zu üben, wenn jemand mit Fahrerlaubnis neben ihm sitzt.«
    »Wie wäre es denn mit einer Fahrschule?«
    Sie starrte mich finster an. »In Gottes Namen, Nick, du bist die einzige Vaterfigur im Leben dieses Kindes. Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie enttäuscht du warst, als du das Fahren von mir lernen musstest, weil dein Vater gegangen war?«
    »Ich war nicht enttäuscht.«
    »Der Herr ist mein Zeuge, dass Gabe nicht will, dass ich es ihm beibringe.«
    »Du hast völlig recht. Ich werde es machen. Obwohl die Vorstellung von Gabe, auf der Ringstraße …«
    »Und was hast du ihm für einen Blödsinn in den Kopf gesetzt, dass er Lilly nicht in die Augen schauen soll, sonst würde er tot umfallen?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Erwischt. Den Vegetariertrip, auf dem er jetzt gerade ist, kannst du mir auch vorwerfen. Er hat das bei meiner neuen Bürokraft aufgeschnappt.« Ich grinste und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, er versucht sie zu beeindrucken.«
    »Solange er überhaupt etwas isst, ist mir das egal. Soll ich dich mal an die Sachen erinnern, die du angestellt hast, um den Mädchen zu imponieren? Wie war das, als du mit vierzehn versucht hast, dir einen Kinnbart wachsen zu lassen, damit Jennie Watson denkt, du wärest männlich?«
    Ich ächzte.
    »Bekommst du genug Schlaf?«
    »Gestern musste ich bis spät in die Nacht arbeiten.«
    Ihre Eigentumswohnung war ausgesprochen IKEA-mäßig.Gemütlich, aber nicht gerade gestylt. Plexiglashocker markierten die Küchenecke des Apartments. Ein Lehnstuhl, der mit kastanienbraunem, blumengemustertem Chintz bezogen war, stand neben einer dazu passenden Couch. Auf dem Tresen lagen ein
Boston Globe
mit aufgefaltetem Kreuzworträtsel und eine Ausgabe der Seniorenzeitschrift
Modern Maturity,
die aussah, als würde meine Mutter wirklich darin lesen.
    Ich setzte mich in den stoffbezogenen Lehnstuhl und sie sich auf das Ende der Couch. Sie drückte ihre Zigarette in einem makellos sauberen, steinernen Aschenbecher aus.
    »Nicky, in ein paar Minuten ist das Treffen meiner Lesegruppe, also können wir uns bitte kurz fassen?«
    »Nur ein paar Fragen. Wann hast du zum letzten Mal mit Alexa gesprochen?«
    Mit einem billigen BIC-Feuerzeug zündete meine Mutter sich die nächste Zigarette an und inhalierte tief. »Das ist ein paar Tage her, vielleicht drei. Gestern rief mich Marshall an, um zu fragen, ob sie die Nacht über hier gewesen wäre. Sie macht schon wieder einen Aufstand, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Gabe hat mir erzählt, dass sie die Nacht in Beacon Hill im Haus ihrer Freundin Taylor verbracht hat … du weißt doch, ihr Vater ist Dick Armstrong, der Senator. Aber ich denke, wir wissen, was das in Wahrheit bedeutet. Sie ist ein wunderschönes Mädchen, und …«
    »Es ist etwas anderes.«
    Sie schaute auf. »Ist sie von zu Hause weggelaufen?«
    »Nein.«
    Sie musterte mein Gesicht. »Ihr ist etwas zugestoßen«, sagte sie.
    Ich zögerte.
    »Sag mir, was ihr passiert ist, Nick.«
    Ich gehorchte.

54.

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