Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebendig und begraben

Lebendig und begraben

Titel: Lebendig und begraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finder Joseph
Vom Netzwerk:
mächtige Männer, wie Marshall es einmal gewesen ist. Ich glaube, die einzige Person, die er, abgesehen von Belinda, außerhalb seines Büros trifft, ist David Schechter.«
    »Wie lange ist Schechter jetzt schon sein Anwalt?«
    »Schecky? Der ist nicht Marshalls Anwalt.«
    »Was ist er dann?«
    »Du weißt doch, dass die Dons der Mafia immer einen Ratgeber haben?«
    »Einen Consigliere?«
    »Ganz genau. Schecky ist Marshalls Consigliere.«
    »Und worin berät er ihn?«
    »Ich glaube, er ist einfach jemand, dessen Urteil Marshall vertraut.«
    »Tust du es auch?«
    »Ich kenne ihn nicht. Aber Marshall sagte mir einmal, dass Schecky die umfangreichsten Akten besitzt, die er jemals gesehen habe. Er hätte ihn an J. Edgar Hoover erinnert.«
    »Warum genau hat Marshall dich eigentlich damals eingestellt?«
    Sie lächelte. »Du fragst dich, warum er eine Frau ohne besondere Fachkenntnisse dafür bezahlt hat, sein Büro zu führen?«
    »So habe ich das nicht gemeint.«
    »Doch, hast du«, sagte sie freundlich. »Du wolltest meine Gefühle nicht verletzen. Das ist schon in Ordnung.« Sie lächelte. »Marshall ist ein guter Mann. Ein guter Mensch. Er bekam mit, wie es uns ging, nachdem dein Vater uns verlassen hatte. Wie die Behörden uns alles genommen haben. Hat er da
›Es hätte auch mich erwischen können?‹
in seinem Hinterkopf gehabt? Sicher, gut möglich.«
    »Du hast immer gesagt, er sei Vaters Freund gewesen, und dass er deshalb helfen wollte.«
    »Das stimmt.«
    »Aber dich hat er nicht gekannt, oder?«
    »Nicht wirklich. Deinen Vater kannte er viel besser. Aber so ist Marshall. Er ist der freigiebigste, großzügigste Mensch, den ich kenne. Er liebt es, Leuten helfen zu können. Und zu der Zeit brauchte ich dringend Hilfe. Ich war eine Mutter mit zwei jugendlichen Söhnen ohne Dach über dem Kopf und ohne Geld. Wir waren aus diesem Haus in Bedford zu Mom auf ihre Ranch in Malden gezogen. Ich hatte kein Einkommen und auch keines in Aussicht. Versuch dir mal vorzustellen, wie ich mich gefühlt habe.«
    Auf der Skala menschlichen Leids fiel das kaum ins Gewicht, das wusste ich. Aber trotzdem konnte ich nur schwer ermessen, wie es für Francine Heller gewesen sein musste, so plötzlich und unerwartet aus ihrem goldenen Kokon immensen Reichtums herausgerissen zu werden, zitternd und nackt, verloren und verletzlich, ohne zu wissen, an wen sie sich wenden sollte.
    »Das kann ich mir nicht wirklich vorstellen«, gab ich zu. »Aber du warst eine Heldin. So viel weiß ich.«
    Sie griff mit ihrer warmen, weichen Hand nach meiner. »Aber nein, um Himmels willen. Das war ich nicht einmal
annähernd
. Aber du musst begreifen, wie viel es für mich bedeutete, dass dieser Mann einsprang, jemand, den ich kaum kannte und der mir nicht nur ein Einkommen anbot, die Möglichkeit, Essen auf den Tisch zu stellen, sondern sogar eine richtige Arbeit. Ich bekam die Chance, etwas Nützliches zu tun.«
    Sie sah so verlegen aus, dass ich bedauerte, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben. Sie setzte sich gerader hin, stieß eine Rauchwolke aus und zerdrückte mit abgewandtem Gesicht ihre Zigarette im Aschenbecher.
    »Du hast bestimmt diese Gerüchte gehört, dass Marshall heimlich mit der Börsenaufsicht zusammengearbeitet hat, als sie gegen Dad ermittelt haben. Dass er letzten Endes dazu beigetragen hat, dass er erwischt wurde.« Falls diese Gerüchte wahr waren, hatte Marshall meine Mutter aus einem sehr einfachen Grund eingestellt: Schuldgefühle.
    »Niemals. Nicht Marshall.«
    »Gut, du kennst ihn besser als jeder andere.«
    »Das alles ist lange vorbei und unwichtig. Jetzt möchte ich
dich
etwas fragen. Glaubst du, diese Kidnapper werden Alexa gehen lassen, wenn sie bekommen, was sie wollen?« Meine Mutter fragte das mit so viel mühsam unterdrückter Verzweiflung,dass ich keine andere Wahl hatte, als mit jener Lüge zu antworten, nach der sie genau wie Marshall so dringend verlangte.
    »Ja.«
    »Warum sagst du das?«
    »Warum? Weil es typisch ist für Entführungen mit Lösegeldforderungen.«
    »Danach frage ich gar nicht. Ich meine, wie kommst du darauf, dass ich die Wahrheit nicht vertragen kann? Ich weiß, wenn du mir nicht die Wahrheit sagst, Nick. Ich bin deine Mutter.«
    Ich hatte immer vermutet, dass ich mein Talent, Leute zu durchschauen, von ihr geerbt hatte. Sie war, genau wie ich, das, was Sigmund Freud einen
Menschenkenner
nennt. Damit ist jemand gemeint, der einen Charakter sehr gut beurteilen kann. Aber es war noch

Weitere Kostenlose Bücher