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Lebens-Mittel

Lebens-Mittel

Titel: Lebens-Mittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Pollan
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entwickelt haben, ersetzt haben, muss unser Körper nun eine kleine Handvoll effizient zur Verfügung gestellter Nährstoffe aufnehmen und bewältigen, die aus ihrem Nahrungskontext herausgerissen wurden. Unsere alte, evolutionär gewachsene Beziehung zu den Samen von Gräsern und den Früchten von Pflanzen ist schlagartig der dornigen Ehe von Glucose und Fructose gewichen.

2) Von der Komplexität zur Einfachheit
     
    Auf allen Ebenen, vom Erdboden bis auf den Teller, hat die Industrialisierung der Nahrungskette einen Prozess chemischer und biologischer Vereinfachung mit sich gebracht. Das fängt an mit den industriellen Düngern, die die Biochemie des Bodens grob vereinfachen. Nachdem Liebig die drei großen Makronährstoffe identifiziert hatte, die Pflanzen zum Wachsen brauchen – Stickstoff, Phosphor und Kalium (NPK) – und Fritz Haber eine Methode erfunden hatte, Stickstoffdünger aus fossilen Brennstoffen zu synthetisieren, bekamen Agrarböden große Portionen von den Großen Drei, aber kaum etwas anderes. Ähnlich wie Liebig, der in seiner Konzentration auf die Makronährstoffe in der menschlichen Nahrung die wichtige Rolle übersah, die Mikronährstoffe wie etwa die Vitamine spielen, entging auch Haber völlig, wie wichtig die biologische Aktivität im Boden ist: der Beitrag, den das komplexe unterirdische Ökosystem aus Bodenmikroben, Regenwürmern und Mykorrhizen für die Pflanzengesundheit leistet. Aggressive chemische Dünger (und Pestizide) unterdrücken oder zerstören diese biologische Aktivität und zwingen die Getreide, sich überwiegend von einer einfachen Portion NPK zu ernähren. Pflanzen können von dieser Fastfood-Kost aus chemischen Substanzen leben, aber sie macht sie anfälliger für Schädlinge und Krankheiten und scheint ihren Nährwert zu verringern.
    Ein durch Chemie verarmter Boden bringt natürlich auch chemisch vereinfachte Pflanzen hervor. Seit ab den 1950er Jahren chemische Dünger allgemein eingesetzt wurden, ist der Nährwert US-amerikanischer Agrarerzeugnisse kräftig zurückgegangen; das besagen zumindest die vom US-Landwirtschaftsministerium zusammengetragenen Daten, das seit dieser Zeit den Nährstoffgehalt verschiedener Getreide verfolgt. Manche Forscher machen für diesen Rückgang den Zustand des Bodens verantwortlich; andere nennen die Tendenz der modernen Pflanzenzucht, bei der Selektion statt auf den Nährwert eher auf industrielle Charakteristika wie den Ertrag zu achten. (Mit der Verschiebung von der Qualität zur Quantität bei industriell produzierter Nahrung beschäftige ich mich im nächsten Abschnitt.)
    Der Trend zur Eindimensionalität unserer Nahrung setzt sich die Nahrungskette hinauf fort. Wie wir gesehen haben, entzieht die Weiterverarbeitung – das Raffinieren, chemisch Haltbarmachen und Konservieren – den intakten Lebensmitteln zahlreiche Nährstoffe, von denen ein paar dann wieder zugesetzt werden: Auszugsmehl bekommt B-Vitamine, Frühstückszerealien und Brot bekommen Vitamine und Mineralstoffe. Dass die weiterverarbeiteten Nahrungsmittel mit den fehlenden Nährstoffen angereichert werden, ist sicher besser, als diese wegzulassen; allerdings kann die Lebensmittelwissenschaft nur die paar Nährstoffe zurückgeben, die sie heute als wichtig erkannt hat. Welche übersieht sie? Wie die erwähnte Synergie-Studie über Vollwertgetreide zeigt, weiß die Wissenschaft noch lange nicht genug, um alles auszugleichen, was die Weiterverarbeitung vollwertigen Lebensmitteln antut. Wir wissen, wie man ein Mais- oder Weizenkorn in seine chemischen Bestandteile zerlegt, aber wir haben keine Ahnung, wie man es wieder zusammensetzt. Es ist sehr viel einfacher, etwas Komplexes zu zerstören, als es herzustellen.
    Auch auf der Ebene der Artenvielfalt findet eine Vereinfachung der Nahrungskette statt. Die erstaunliche Vielfalt an Lebensmitteln in einem heutigen Supermarkt verschleiert die Tatsache, dass die Anzahl der heute verzehrten Arten de facto schrumpft. Tausende von Pflanzen- und Tierarten sind in den letzten hundert Jahren aus dem Markt herausgefallen, weil die industrialisierte Landwirtschaft ihre Aufmerksamkeit auf einige wenige ertragreiche (und gewöhnlich patentierte) Arten gerichtet hat, die für mechanische Ernte- und Verarbeitungsprozesse geeignet sind. Die Hälfte des heute in Amerika kommerziell angebauten Brokkolis stammt von einer einzigen Sorte – Marathon -, die für ihren hohen Ertrag bekannt ist. Die überwältigende Mehrheit der in Amerika

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