Lebens-Mittel
Nahrung, die wir westliche Ernährung nennen, unterminiert systematisch und vorsätzlich überall die traditionelle Esskultur. Das ist für unsere Gesundheit möglicherweise genauso zerstörerisch wie irgendein Nährstoffdefizit.
Vor dem Zeitalter der modernen Ernährung – und dem Aufkommen des Nutritionismus – griffen die Menschen auf ihre nationale, ethnische oder religiöse Kultur zurück, wenn sie sich fragten, was sie essen sollten. Eine Kultur lässt sich als ein Komplex von Überzeugungen und Verfahrensweisen verstehen, die als Mittler unsere Beziehung zu anderen Menschen mitgestalten; aber natürlich hat die Kultur – zumindest vor dem Aufschwung der modernen Wissenschaft – auch die Beziehung des Menschen zur Natur entscheidend mitgestaltet. Das Essen ist eine der wichtigsten Äußerungsformen dieser Beziehung, und deshalb haben Kulturen sehr viel darüber zu sagen, was und wie und warum und wann und wie viel wir essen sollten. Wenn es ums Essen geht, ist »Kultur« natürlich ein anderes Wort für »Mama«, das heißt für die Person, die im Allgemeinen die Ernährungsweise der Gruppe weitergibt; diese Ernährungsweisen haben im Übrigen nur deshalb überdauert, weil die Menschen mit ihnen überwiegend gesund geblieben sind.
Die Neuartigkeit und der Glamour der westlichen Ernährung – siebzehntausend neue Nahrungsprodukte jährlich, zweiunddreißig Milliarden Dollar Marketingpower – haben die Tradition überrollt und uns dahin befördert, wo wir heute stehen: Wenn wir entscheiden, was wir essen wollen, verlassen wir uns auf die Wissenschaft, den Journalismus, die Behörden und das Marketing. Der Nutritionismus, der entstand, damit wir mit den Problemen der westlichen Ernährung besser zurechtkommen, ist von ihr in großem Umfang zweckentfremdet worden: Er wird von der Industrie benutzt, um mehr nährstoffmäßig »verbesserte« weiterverarbeitete Nahrung zu verkaufen und die Autorität der traditionellen Esskultur zu untergraben, die dem Fastfood im Weg steht. Die Industrie überspitzt die Behauptungen der Ernährungswissenschaft durch ihre Werbung und korrumpiert sie durch die Finanzierung einer höchst eigennützigen Ernährungsforschung. 32 Vorhersehbares Ergebnis ist die allgemeine Kakophonie der Ernährungsinformationen und die weit verbreitete Unsicherheit, die inzwischen diese elementarste Aktivität aller Geschöpfe umgibt: etwas Gutes zu essen finden.
Sie hätten dieses Buch nicht gekauft und bis hierher gelesen, wenn Ihre Esskultur intakt und gesund wäre. Und obwohl es zutrifft, dass die meisten von uns bei allen Gesundheitsangelegenheiten, ohne nachzudenken, die Autorität der Wissenschaft über die Kultur stellen, sollte dieses Vorurteil zumindest überprüft werden. Denn wir müssen fragen: Geht es uns mit diesen neuen Autoritäten, die uns sagen, was wir essen sollen, besser als mit den traditionellen Autoritäten, die sie ersetzt haben? Die Antwort dürfte inzwischen klar sein.
Nun könnte man sagen, dass wir vielleicht einfach akzeptieren sollten, dass unsere Esskultur eben das Fastfood ist, und die Sache abhaken. Mit der Zeit werden die Leute sich schon an diese Ernährungsweise gewöhnen, und wenn wir uns nach und nach an die veränderten Bedingungen der Ernährung anpassen, wird auch unsere Gesundheit besser werden. Außerdem wird ja auch die Ernährungswissenschaft immer besser, und deshalb sollten wir in der Lage sein, die schlimmsten Folgen dieses Ernährungsstils abzufedern. Lebensmittelwissenschaftler denken sich bereits Möglichkeiten aus, Omega-3-Fettsäuren in winzige Kapseln zu stecken und in unser vitamingestärktes Brot einzubacken. Aber ich glaube, wir sollten weder auf die Lebensmittelwissenschaft setzen, die uns bisher keine besonders guten Dienste geleistet hat, noch auf die Evolution.
Der Versuch, sich an die westliche Ernährung zu gewöhnen, geht einfach mit ein paar Problemen einher. Dagegen könnten Sie einwenden, dass wir uns im Gegensatz zu den Aborigines oder den Inuit doch schon an sie gewöhnen – die meisten von uns werden nicht ganz so dick oder diabetisch wie sie. Aber dass diese »Gewöhnung« reibungslos vonstattengeht, scheint sehr viel weniger einleuchtend, wenn Sie bedenken, dass ein Viertel aller Amerikaner am metabolischen Syndrom leidet, zwei Drittel übergewichtig oder fettleibig sind und mit der Ernährung zusammenhängende Krankheiten die meisten von uns umbringen. Der Gedanke, dass die Bedingungen der Ernährung sich ändern, ist
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