Lebens-Mittel
Omega-3-Fettsäuren angereicherten Milchnahrung gefüttert wurden, bei Tests zur geistigen Entwicklung und zur Sehschärfe signifikant besser abschnitten als Babys, denen nur Omega-6-Fettsäuren in die Nahrung gegeben worden waren.
Könnte es sein, dass das Problem mit der westlichen Ernährung ein eklatanter Mangel an diesem essenziellen Nährstoff ist? Eine wachsende Anzahl von Forschern ist zu dem Schluss gekommen, dass dem so ist; sie sind enttäuscht, dass offizielle Ernährungsempfehlungen das Problem nur sehr zögerlich zur Kenntnis nehmen. Aber ein solcher Schritt würde natürlich das Eingeständnis erfordern, dass die pauschale Verteufelung der Fette und der empfohlene Wechsel zu den an Omega-6-Fettsäuren reichen Pflanzenölen ein Irrtum war. Trotzdem werden die Behörden früher oder später wohl einen Mindesttagesbedarf für die Omega-3-Fettsäuren festlegen (was mehrere andere Länder bereits getan haben), und dann werden die Ärzte unsere Spiegel von Omega-3-Fettsäuren genauso routinemäßig messen wie heute die Cholesterinspiegel.
Obwohl sie vielleicht auch die Omega-6-Spiegel messen sollten, denn die sind möglicherweise das größere Problem. Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren haben zueinander eine Art Nullsummenbeziehung: Die Omega-6-Fette wirken überall im Körper den meisten positiven Auswirkungen der Omega- 3-Fette entgegen. Die bloße Anreicherung Ihrer Ernährung mit Omega-3-Fetten – etwa indem Sie entsprechende Kapseln schlucken – wird Ihnen vielleicht nicht besonders viel nützen, wenn Sie nicht gleichzeitig die hohen Omega-6-Spiegel zurückfahren, die mit dem Aufkommen von weiterverarbeiteten Nahrungsmitteln, Samenölen und der Viehmästung mit Getreide in die westliche Ernährung Einzug gehalten haben. Neun Prozent der Kalorien in der amerikanischen Ernährung kommen heute von einer einzigen Omega-6-Fettsäure: der Linolsäure, die überwiegend aus Sojaöl stammt. Manche Ernährungsexperten meinen, das wäre in Ordnung: Schließlich sind auch die Omega-6-Fettsäuren essenzielle Fettsäuren, und deren inzwischen herausragende Stellung in der Ernährung hat schließlich die gesättigten Fette vertrieben, was gemeinhin als positive Entwicklung gilt. Andere widersprechen dem heftig und behaupten, der bislang beispiellose Omega-6-Gehalt der westlichen Ernährung würde zu all den Störungen führen, an denen Entzündungen beteiligt sind. Joseph Hibbeln, der Forscher von den National Institutes of Health, der bei seinen Bevölkerungsstudien vom Schlaganfall bis zum Selbstmord den Omega-3-Verzehr mit allem Möglichen in Verbindung brachte, sagt, dass wir mit den Milliarden Dollar, die wir für entzündungshemmende Medikamente wie Aspirin, Ibuprofen und Paracetamol ausgegeben, letztlich die Folgen von zu viel Omega- 6 in der Ernährung rückgängig machen. Er schreibt: »Das Ansteigen des [Omega-6-] Weltverbrauchs in den letzten hundert Jahren kann als ein sehr breit angelegtes, unkontrolliertes Experiment betrachtet werden, das zu vermehrten gesellschaftlichen Belastungen wie Aggression, Depression und Herz-Kreislauf-Tod beigetragen haben könnte.« 31
Von allen Veränderungen unseres Nahrungssystems, die sich unter der Überschrift »die westliche Ernährung« zusammenfassen lassen, ist der Wechsel von einer Nahrungskette, deren Basis die Grünpflanzen sind, zu einer Nahrungskette, deren Basis die Samen sind, vielleicht die folgenschwerste. Nährstoffwissenschaftler richten ihre Aufmerksamkeit auf verschiedene Nährstoffe – sie fragen, ob die moderne Kost zu viele raffinierte Kohlenhydrate, nicht genug gute Fette, zu viele schlechte Fette, ein Defizit an allen möglichen Mikronährstoffen oder insgesamt zu viele Kalorien enthält. Aber am Anfang all dieser biochemischen Veränderungen steht eine einzige ökologische Veränderung. Denn der Wechsel von den Blättern zu den Samen beeinflusst sehr viel mehr als die Omega-3- und Omega- 6-Spiegel im Körper. Er ist auch mitverantwortlich für die Flut raffinierter Kohlenhydrate und die Ebbe zahlreicher Mikronährstoffe und die Überfütterung mit Kalorien insgesamt. Von den Blättern zu den Samen : Das ist eine Theorie, die fast alles, vielleicht auch zu hundert Prozent, erklärt.
5) Von der Esskultur zur Ernährungswissenschaft
Die letzte wichtige Änderung, die von der westlichen Ernährung herbeigeführt wurde, ist – zumindest im engeren Sinn dieses Wortes – nicht ökologischer Art. Aber die Industrialisierung unserer
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