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Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder
Autoren: Manfred Rebhandl
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dem Nahkampf mit seiner süßen kleinen Jocy-Maus – da hat er Mensch sein können, der Tiger.
    Diese Weite! Wer gut sieht, der kann an klaren Tagen vom Balkon dieses Motels aus bis hinüber nach Polen schauen. Und wer immens gut sieht – wie dieser verrückte Gendarm dort unten in Aussee mit seinen Adleraugen! –, der könnte sogar bis nach Nowaja Semlja hinauf spähen. Dorthin, wo der Russe seine Atomwaffen bunkert und von wo aus er die denkbar schärfste Trägerrakete gezündet und in seine Umlaufbahn geschossen hat – die Ivana, sein Schicksal.
    Dabei ist es noch keine Woche her, dass es seine Jocy infolge des Scheiß-Brustkrebs von vorne bis hinten zerlegt und er den Boden unter den Füßen verloren hat.
    „Streu meine Asche vom Balkon unseres Motels aus in den Wind!“, hat sie ihn angefleht. „Von dort, wo wir immer so glücklich waren!“, hat sie ihm die Tränen des Abschieds in die Augen getrieben, kurz bevor sie in der Charite während der x-ten Chemo zugrunde ging.
    Ihr Wunsch war ihm natürlich Befehl. Er konnte schließlich nie Nein sagen, wenn die Weiber etwas von ihm wollten. („Kauf mir den Ring“ hat sie sich ein früheres Mal gewünscht, „den ganzen!“, hat sie ihn angefleht, „nur für mich alleine!“, hat sie gewinselt. Heilige Scheiße! Einen ganzen Ring kaufen? Für sie alleine? Spanisch hätte es ihm vorkommen müssen, dass er bis dahin noch nie von einem Schmuckdesigner Wagner aus Bayreuth gehört hat. Als er dann letztlich die Vorausüberweisung für den ganzen Ring für sie alleine tätigte und sie ein paar Jahre später unten in diesem Scheiß-Bayreuth gestanden sind, hätte bei ihm die Skepsis obsiegen müssen. Alle waren sie wegen diesem Scheiß-Ring gekommen, den er der Jocelyn gekauft hat: Der Zieh-du-zuerst-Franzi aus München; der Bondage-König Detlef aus Herne-Süd; Barnabas mit den drei Eiern und sein Freund „Deep“ Fritz aus Hamburg-Altona samt Ewald „Bums“ Knittelfeldinger aus Österreich – buchstäblich alle sind wegen dem Scheiß-Ring angestanden, aber nur er und die Jocelyn durften auch hinein. Als sie endlich an der Kassa vorbei waren, hat er immer noch geglaubt — gehofft? —, dass es sich um eine Auktion handeln würde oder um etwas Ähnliches! Und als sie schließlich alleine in der vierten Reihe gesessen sind, da hat er immer noch gehofft – gefleht? –, dass er der Jocy den Ring vielleicht im Rahmen einer Modeschau überreichen sollte.
    Aber dann das! Fette Weiber auf der Bühne, die sich die Seele aus dem Leib brüllten wie Gebärende im Kreißsaal; Pauken und Trompeten wie bei einem Scheiß-Nazi-Begräbnis; das Personal auf der Bühne in Fetzen gehüllt wie im Mittelalter. Und im Saal eine Stimmung wie in einem Trappistenkloster, wenn nicht draußen alle „Schiebung!“ und „Skandal!“ gerufen und herinnen die Jocelyn mit „Bravo!“ und „Yippieeiyeah!“ und „Lauter!“ dagegengehalten hätte. Doch am schlimmsten: Er hat nicht und nicht gewusst wohin mit seinen Füßen. Das lange Sitzen war und ist er einfach nicht gewöhnt, seine Gefäße gleichen ja zerrissenen Strumpfhosen. Um halb drei Uhr morgens dann endlich die Erlösung und erste Pause. Und da spätestens hat er verstanden, was die Jocelyn gemeint hat, als sie sagte, er solle ihr den „ganzen“ Ring schenken.
    2.769.300 Deutschmärker hat ihn dieser Höllenritt gekostet, und wegen einer Venen-Notoperation musste er anschließend vier Monate in der Charite verbringen. Doch die Jocelyn hat so eine Freude gehabt mit diesem verdammten Ring – dem ganzen! – von diesem Wagner – der tauben Nuss! – in diesem Bayreuth – dem Hundeschiss auf der Landkarte. Also hat auch er eine Freude gehabt, letztlich und trotz allem auch er.)
    Also „Tschüss, Arrivederci und Auf Wiedersehen, innigst geliebte Jocy-Maus. Eine so Biegsame und Fügsame wie dich werd ich nie wieder finden!“ Das waren seine Worte, als er ihre Asche dann vor zwei Tagen in den Wind streute. Und als Abschiedsgruß sandte er ihr noch ein paar selbst gedichtete Zeilen hinterher:
    Deine Seele, Jocy, spannt
weit ihre Flügel aus
fliegt übers weite Land
als flöge sie nach Haus.
    Wer weiß, dachte er da bei sich, die Cohiba in der linken Hand, den Rémy-Martin-Schwenker in der rechten, wer weiß, ob er nicht doch das Zeug zum Dichterfürsten gehabt hätte?
    Jetzt, da er im Ferrari an Luckenwalde vorbeifliegt und er alter Sack sich noch einmal vorkommt wie der junge Tony Curtis, weil der weiße Seidenschal schön
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