Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebensabende & Blutbaeder

Lebensabende & Blutbaeder

Titel: Lebensabende & Blutbaeder
Autoren: Manfred Rebhandl
Vom Netzwerk:
geschmeidig im Fahrtwind wedelt, jetzt fragt er sich natürlich, ob vielleicht alles ganz anders gekommen wäre, wenn er Vollidiot den Ort des Abschieds und der Trauer umgehend und für immer verlassen hätte und nicht noch einmal aus alter Gewohnheit — und tiefer Wehmut! — auf den Tingeltangel gegangen wäre, wo er früher seiner Jocy aus der Schießbude dieses Scheinasylanten namens Tschu En Lei (nicht verwandt nicht verschwägert) regelmäßig kleine Präsente herausgeschossen hat und sie ihn sogar einmal auf den Knien um einen zwei Meter großen Stoffwauwau angefleht hat: „Den will ich!“, hat sie gebettelt. „Schieß ihn mir heraus!“, hat sie an seinem Hosenbein gezerrt.
    „Geschenkt, Jocy, geschenkt!“, hat er gesagt. Und schon hat er ihr das Teil mit der Smith Wesson herausgeballert, peng peng peng, plus einen Strauß roter Rosen für sie als Draufgabe und Zeichen seiner Liebe gleich mit dazu. Denn er ist ja, bitte, im tiefsten ein Romantiker, dass die Uschi Glas gegen ihn wie eine total versaute Rockerbraut wirkt, innerlich.
    Dabei hat er vor zwei Tagen sofort gespürt, dass alles schief gehen würde, als er sich wie immer freundlich bei diesem Tschu um das Luftdruckgewehr angestellt hat. Der aber stand nur in seiner Bude und war ganz Konfuzius. In aller Seelenruhe hat das Gelbgesicht von einem Knochen fasrig-zähes Fleisch heruntergekaut, von dem der Schlevsky heute – in der Rückschau! – mit Sicherheit sagen kann, dass die Sau einen Hund gefressen hat, diese verdammten Asiaten hält er einfach im Kopf nicht aus!
    Er, der ständig bereite und aufs äußerste gespannte Tiger, hat diese ausgestellte Gelassenheit des Tschu natürlich nur als nackte Provokation empfinden können, wo er doch mit der fernöstlichen „Morgen ist auch noch ein Tag“-Denkschule einfach überhaupt nichts anfangen kann und auf den Weg sowieso scheißt, ihn interessiert nur das Ziel, und das hieß: 10 Schuss — 1 Euro.
    Hätte ihm der Scheiß-Chinamann nicht nach handgestoppten zwei Minuten vierzehn endlich das Luftdruckgewehr ausgehändigt, dann hätte ihn der Schlevsky mit der Smith & Wesson aus seiner Schießbude herausgeschossen wie damals den Stoffwauwau für die Jocelyn, natürlich ohne Strauß Rosen als Draufgabe.
    Das Gescheiteste freilich, weiß er jetzt in der Retrospektive, als er an Wittenberg vorbeifliegt und ihm die Kälte langsam ins morsche Knochengebälk dringt, das Gescheiteste wäre zu diesem Zeitpunkt natürlich gewesen, wenn er sich selbst mit der Smith & Wesson durchsiebt hätte, denn: Rückblickend war ja im Grunde weit und breit kein Massaker absehbar, der Anlass für das folgende Blutbad nicht wirklich zwingend. Nur dass er als Puffkaiser halt seit den Lehrjahren oben an der Reeperbahn diese gewisse Schusstechnik verinnerlicht hat, die das immens schnelle Links-rechts-links-rechts-Schauen vorschreibt, bevor man anfängt, aus der Hüfte heraus zu ballern.
    Und siehe da! Als er endlich das Gewehr in der Hand hält und nach links schaut, um sich zu vergewissern, dass er nicht angegriffen wird, da schaut er plötzlich in einen rosaroten Berg Zuckerwatte, und hinter diesem Berg steht die Ivana, sein Schicksal.
    Bitterfeld zieht links an ihm vorbei, als er den Ferrari weiter Richtung Süden tritt, er aber schaut nicht mehr hin. Das verdammte Links-rechts-links-rechts-Schauen hat er sich endgültig abgewöhnt, wenigstens das! Den Remy Martin allerdings wird er sich nie abgewöhnen können, schon gar nicht in diesen schwierigen Zeiten des Wandels. Schön langsam wird es obendrein ganz schön huschi huschi, je näher er diesem verfluchten Alpenland kommt, da darf er sich ruhig ein bisschen wärmen.
    Nie, ärgert er sich gleich wieder fürchterlich, nie in seinem Leben war er ein Süßer! Keine Torte hat er je angerührt, keine Cremeschnitte, keinen Punschkrapfen, nichts! Und dann lässt er Extremtrottel sich von diesem blonden Gift ausgerechnet eine rosarote Zuckerwatte um 100 Euro andrehen, nur weil sie ihn angeschaut hat wie die Unschuld vom Neuen Lande, aus ihren nordseeklaren Augen heraus, und er – aber da erzählt er ja nichts Neues – einfach nie nein sagen kann, wenn die Weiber etwas von ihm wollen!
    Wie ein komplett sexualisierter Zwölfjähriger, der zum ersten Mal die Pamela Anderson im Körperprofil sieht, stand er vor ihr und hat plötzlich rosa gesehen, jedoch nicht wegen der Zuckerwatte, sondern wegen der Gefühle!
    Gefühle, Herrgottnocheinmal!
    Gefühle wie damals vor zwanzig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher