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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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weißt du alles, denn mehr kann ich dir nicht sagen, deshalb, weil wir an Ort und Stelle sind. Je nun! Du wirst dich in diese verführerische Sirene nicht verlieben; einmal bist du zu solide dazu, zum andernmal fehlt dir Mut und Unternehmungsgeist, und endlich bist du ein Dichter, das heißt, ein melancholischer Idealelefant, der höchstens bis an die Knöchel in dem Sand des Lebens watet und dem der Anblick des gewöhnlichen Erdengewürms nur Bauchgrimmen verursacht!«
    Der Wagen hielt, wir betraten das Peristil und erstiegen die breite, blumengeschmückte, mit herrlichen Teppichen belegte Treppe, überall herrschte die ausgesuchteste englische Komfortabilität. Wie war mir das alles so neu geworden, wie wundersam stimmte es mich wieder! Was können doch drei in einem Dachstübchen verlebte Monate aus einem Menschen machen!

Fünftes Blatt
    Umgeben von Herren, die einen Halbkreis um sie bildeten, saß Feodora anmutig hingegossen auf der Ottomane. Bei unserm Eintritt erhob sie sich, mit ihr ein ganzer Himmel, denn eine reizend majestätische Erhabenheit entwikkelte sie. Ihre Formen, voll und weich, weckten südliche Gluten, aber der Schnee des Nordens hatte seinen schönen Zauber darüber hingegossen. Ihr hellblondes Haar, zu reich für einen künstlichen Putz, war im Nacken zu einem natürlichen Knoten gewunden, den eine einfache goldene Nadel hielt. Zu beiden Seiten der reinen Stirn war es schlicht geglättet. Sie trug ein schneeweißes Kleid, das aber von ihrem Angesicht, Brust, Nacken und Armen überstrahlt ward. Ihre Haut war von einer Weiße und Zartheit, die wunderhaft, fremdartig, vielleicht auch echt nordisch nur erschien: ein wächsener Glanz, halb durchsichtig. Es war eine Juno. Großäugig, lilienarmig, verwirklichte sie in göttlicher Einfalt alle homerischen Beiworte. Bis auf einen Blick koketter Milde schien ihr streng regelmäßiges Gesicht kalt und fühllos. Ja, die kleine, stolzgerötete Unterlippe verachtete alles um sich her, und eine grenzenlose Herablassung schien es, wenn sie zu jemand sich hinneigte, um auf ihn zu hören.
    Diese Göttin nahte sich und bewillkommnete uns, ein klein wenig gnädig lächelnd. Emphatisch lobte mich ihr Rastignac als einen Mann von Talent. Ich hatte keine Worte und begnügte mich mit einem mir durch Gewohnheit eigenen Anstand.
    »Stell' dich doch nicht so verwundert über die Prinzessin!« flüsterte Rastignac mir zu, als sie den stolzen Rücken uns wandte, »oder bist du es, laß es wenigstens nicht merken!«
    Feodora nahm wieder Platz auf der Ottomane, und das Gespräch ging seinen Gang fort. – Rastignac hatte recht. Man soll sich über nichts wundern, keineswegs im Horazischen Sinne, nur in guter Gesellschaft nicht, die sich zum Stolzismus verhält wie Glätte zur Kälte. Ich nahm nicht teil am Gespräch. Jeder huldigte ihr wie einer Königin, und sie nahm den schuldigen Tribut huldvoll in Empfang, belohnte ihn hie und da mit einem süßen Gesellschaftsblick. Jeder erschöpfte seinen Vorrat von Neuigkeiten, Tagesvorfällen, Bonmots und Epigrammen. Man politisierte, witzelte, kritisierte, faselte und klatschte. – Solch eine Unterhaltungsgabe war mir nie eigen; wäre sie's gewesen, längst hätte ich sie im Hotel St. Quentin vergessen. Ich saß stumm unter allen, die sich bemühten, Feodora zu unterhalten, von denen keiner aber wußte, ob er seinen Zweck erreichte, denn – sie gähnte zuweilen verstohlen, und mich entzückte sie damit.
    Als die Gesellschaft so zahlreich geworden, daß man auf den einzelnen nicht mehr achtete, nahm ich Gelegenheit, die eleganten und geschmackvoll dekorierten Säle zu betrachten. – Jedes Zimmer hatte einen eigenen Charakter: ein Luxus, der sich höchstens bei den reichsten Engländern zeigt. Ein gotisches Zimmer, mit Schnitzwerk von Eben- und Lindenholz ausgelegt, hatte runde Fenster mit Glasmalereien. In einem modernen Zimmer war alles luftig, leicht und vergoldet. Ein herrlicher Blumenflor duftete und blühte von allen Seiten. Ein drittes Zimmer repräsentierte den Geschmack Ludwig XIV., und passende, ausgesuchte Gemälde hingen überall an der rechten Stelle, daß man nach dem ersten oberflächlichen Eindruck auch den Geschmacksernst der Besitzerin wahrzunehmen Anlaß hatte. – Da erschien Rastignac, faßte mich geheimnisvoll schweigend beim Arm und führte mich durch eine Reihe von Zimmern in Feodorens Schlafgemach. Ein schwerer Teppichvorhang mußte zurückgeschoben werden, und zwei Marmorstatuen geboten dem Eintretenden

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