Lebensbilder I (German Edition)
entgegnetest du: Hier ist nicht Ort und Zeit, angemessen meinen Empfindungen und Schmerzen. Doch dieser Ort und dieser Abend werden ihrer würdig sein, und du kannst meine Bitte mir nicht länger versagen.«
«Du hast recht!« sagte Raphael. «Heut und hier sollst du alles erfahren, und keine Falle meines Herzens bleibe dir unenthüllt. Der gute Mensch darf alles entdecken, denn er ist besser als die, welche ihn betrügen: er ist besser als sein Geschick. Komm denn, Freund, laß uns schwelgen in Erinnerung vergangener Leiden und aus den eigenen bitteren Erlebnissen die Mysterien des irdischen Daseins erfassen.«
«Es fehlt noch zur Vollkommenheit dieses Abends!« rief Emil. »Welch ein Abend! – Bedenk' nur. Erst das schwelgerische Mahl mit dem Dessert und der süßeren Überraschung eines Balletts; dann der geistige Aufschwung, den deine Rede uns gab, dann die tolle Lustigkeit aller Gäste: ein Vorrates hatte mitlachen müssen. Dann ging alles ins Wunderhafte über, und nun sitzest du hier, umgeben rings von magischer Pracht und Vollkommenheit, um mit deinem Freunde und deiner liebenswerten Freundin – dir mehr als freundschaftlich gesinnt – ganz deines Selbst, deines herrlichen Schicksals und Daseins dir bewußt zu werden.«
»Emil! Emil! was sagst du!« schrie Raphael plötzlich auf. »Welch ein tückischer Dämon gab dir diese Worte ein, die alle meine Begeisterung plötzlich töten? Emil! ich wollte mich berauschen in Gedanken und Empfindungen; ich wollte es, und in diesem Rausch habe ich bis hierher mich getäuscht. Du hast mich geweckt, indem du sagtest: Hier ist alles nun erfüllt. Und meinen eignen freien Willen wußte das Elendsfell zu benutzen, um meine eignen Wünsche zu erfüllen. Oh, was ist Schicksal und Geschick! Ein Rechenexempel, aus dem Gang der Gestirne heraus zu punktieren. Wir werden geboren mit unseren Multiplikatoren, Divisoren, Quotienten und Faziten, und unsere Gedanken und Gefühle sind Traumzahlen und eingebildete Größen. Ich wollte Weisheit erbitten; – o, besser ist's zu rasen, als zu rechnen. Fort mit der Rechenkunst! O Feodora, ich bin derselbe noch, der am Abend deinetwillen sich in die Seine stürzen wollte! – verflogen ist der Rausch, der mich über mich selbst und meine Liebe erhob. Dein bin ich wieder! Dein! du böser, schöner Dämon! Was hilft das Sträuben, wo die Natur ihre Rechte fordert, die mich an dich gekettet?! Ich muß dich lieben oder tödlich hassen, und ich gehorche meinem Schicksal. Willst du aus freien Stücken mir nicht Gegenliebe schenken, so gebrauche ich meine Macht, aufs elendeste dich zu verderben.«
»Um Gotteswillen, Freund! welche Anwandlung?« rief Emil; »wo sind alle deine großen Pläne?«
»Ach, es waren Träume! Ein Rausch des Geistes trieb mir diese Blasen ins Gehirn, sie platzten vor deinem Spruche. Meine Sterne wollen nicht, daß ich groß sei in der Geschichte. Ich bin ja nichts als ein lyrisches Gedicht auf Feodora! Ein Seufzer, der, statt in Sonettform, auf zwei Beinen mit Kopf und Händen einhergeht!« –
»Kleinmütiger! Dein Wille macht dich groß.«
«Hast du Lust, groß zu sein? Ich will zu einem Nero oder Bonaparte dich machen, daß du mit jedem Atemzug tausend Menschenleben vernichtest, wie die Pest oder ein hundertfaches Schafott. Willst du aber lieber mit Völkerglück spielen, so sollst du ein Minister werden, oder willst du es mit Licht und Farbe, Empfindungen oder Gestalten, so mache ich dich zum Künstler. Nein, du ziehst vor, mit Gold und harten Talern zu spielen. Nicht? dies ist auch meine Wahl, der einzige Sinn des Lebens! – Hinweg mit der Laube; erwacht, ihr Schläfer! – Ich will nichts als jährlich Millionen Franken! Herbei damit, vermaledeites Elendsfell! sogleich!«
Die Laube schwand, die übrige Gesellschaft ward wieder sichtbar, und ein lautes Pochen an der Tür ließ sich vernehmen.
»Offne, Emil!« rief Raphael, «ich habe vorhin die Tür verschlossen, öffne, meine Millionen kommen an!«
»Raphael,« entgegnete dieser ängstlich, »bald ist's auch um meinen Verstand geschehen!«
»Es ist alles eins! Niemand entgeht seinem Schicksal. Und will dein Schicksal um deinen Verstand dich bringen, schenke ihm denselben, das Leben wird um so leichter. Was mich betrifft, ich trage mein Stück Schicksal hier in der Tasche!« – Er zog das Elendsfell hervor und erblaßte, denn es war fürchterlich eingeschrumpft.
»O Gott, was ist dir?« rief der besorgte Emil.
»Nichts. Freund, nichts! wenigstens werde
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