Lebensbilder I (German Edition)
teilnimmt.«
»Schönes Mädchen!« wandte er sich zu Aquilina, an deren langen, dunklen Wimpern große Tropfen hingen. »Empfindung muß dir zugestehen, wer dich sieht; wie aber soll ich deine Tränen deuten? Weiber weinen gar so leicht; Tränen sind die erste Zuflucht des oberflächlichen Gefühls und stehen der Empfindungslosen am ersten zu Gebot.«
Aqullina aber entgegnete mit klangreicher und empfindungsvoller Stimme: »Wer bist du, Jüngling mit der Göttergestalt, dem solche Wunderkräfte gegeben sind, und dessen Wort so tief ergreifend alle Angelegenheiten der Menschen und ihre Fehler und ihre Schwäche nennen, schätzen und strafen kann? Muß ich nicht vor Ehrfurcht weinen, weil ich dich solche Wunder tun sehe? Gern will ich dir glauben, daß meine Empfindung, mit der deinigen verglichen, nur oberflächlich sein kann, doch immer wirst du, was ich fühle. Gefühl nennen müssen. Oh, glaube nur, mein Gefühl ist schärfer als all' meine andern Sinne, denn längst hat es in dir geahnt, wovon sich später erst Ohr und Auge überzeugten, und du« – fuhr sie fort, indem sie schmeichlerisch seine Hand ergriff – »hast auch gemerkt, wie ich dir gesinnt war, denn nicht umsonst hast du vor allen andern mich ausgezeichnet und nicht gleich ihnen mich eingeschläfert, sondern mich wach um dich erhalten.«
«Du liebst mich?« fragte Raphael mit flnstern Blicken.
Plötzlich lag Aquilina weinend zu seinen Füßen und verbarg ihr Antlitz an seinen Knien, die sie umschlang.
»Stille, stille, gutes Mädchen!« sprach Raphael sehr ernst und nachdenklich. »Wisse! Es ist nicht freie Wahl deines Herzens, mich zu lieben: du siehst, ich bin mit der Macht begabt, all' meine Wünsche zu erfüllen, und ich gestehe dir, ich wünschte vorhin, geliebt zu werden von einem Wesen deiner Art. Als ich so wünschte, kannte ich dich noch nicht, sonst hätte ich mit deinem Herzen so nicht gespielt. Doch steht es in meiner Macht, dich von dieser Leidenschaft zu befreien!«
»Ich will nicht befreit sein.« seufzte Aquillna, «wenn du mich auch nicht wieder liebst!«
»Du hast recht!« entgegnete Raphael. »Die nicht erwiderte Liebe ist die glückliche; die unglückliche, die Gegenliebe findet, denn sie geht zugrunde. Man liebt nur einmal, diese Bestimmung unsres Herzens, nur einmal erlebt sie sich, und wer diese Erfahrung gewonnen, ist unfähig, sie sich zu erneuern. Nur einmal sieht man im Weibe die Göttin, und gewitzigt durch Enttäuschung, sehen wir in Zukunft in der Göttin nur das Weib. – Auch ich habe geliebt und wohl mir deswegen. Ich liebe jetzt wie ein Dichter in der Ahnung, nicht mehr wie ein Jüngling. Meine Liebe war ein Wesen, mit aller Vollkommenheit geschmückt, des Geistes wie des Körpers, aus Vollkommenheiten bestehend, nur ohne Seele! Sie war ein Kunstwerk; die Vollkommenheit, die ihr Wesen bildete, war Werk eines göttlichen Meisters, sie selbst an sich war nichts. Und ich, ein Pygmalion, wünschte dies Steinbild belebt, wie töricht! Die Liebe ist besser als ihr Gegenstand, die Ahnung einer Göttin mehr als das wirkliche Weib; letzteres lernen wir in glücklicher Liebe kennen, jenes behaupten wir in unglücklicher Liebe. – Nicht so, Aquilina? Verstehst du mich?«
»Mir ahnte es wohl, daß ich, nicht mehr als ein Weib, dir nicht genügen würde!« seufzte Aquilina.
»O Mädchen,« rief Raphael, »dieser Auftritt lehrt mich, welch reiner Mensch der sein muß, der seiner Wünsche Erfüllung begehren darf. Ich fühle mehr und mehr, wie ernst meine Bestimmung ist, und wie wenig ich mit Leichtsinn und Willkür mich befassen darf. Vernimm, Aquilina, du würdest ganz mein Herz empfangen, könnte ich mich nur mit dem Gedanken versöhnen, daß ich meine Liebe bei dem Schicksal bestellt. – Hinweg damit! Sei meine Freundin! Unsere Freundschaft laß aus freiem Willen uns auswechseln!«
Aquilina reichte ihm die Hand, und Emil fragte: «Wer aber, Raphael, ist das geheimnisvolle Wesen, das Bild aller Vollkommenheiten, der Inbegriff aller Scheintugenden und wirklichen Laster, von der dir hin und wieder unzusammenhängende Worte entschlüpften, der du, wie wir alle merkten, Zeit. Vermögen, Herz und Geist opfertest, um – alles zu verlieren?«
»Und das Leben obendrein!« antwortete Raphael. «Es ist noch nicht sechs Stunden, daß meine Verzweiflung kein anderes Ziel kannte als den Grund der Seine: nur ein Wunder konnte mich retten.«
»So oft wir baten,« fiel Emil ein. «uns die Geschichte deiner Qualen mitzuteilen,
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