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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ich bald soviel sein. Wenn du Indisch verständest, so würdest du lesen können, daß ich mit meiner Lebenszeit die Erfüllung jedes Wunsches bezahle. Ich habe diese Nacht fürchterlich darauf los gelebt, und siehst du wohl, mir bleibt keine Zeit, ein großer Mann zu werden. Will ich's sein, so kann ich nur mein Testament machen.«
    Immer lauter war das Pochen geworden, und Emil öffnete endlich. – Indes ward's auch auf den Polstern lebendig. Man stöhnte, gähnte, seufzte, brummte, reckte knackend die Arme, dehnte und wälzte sich. Die Frauen hatten ihren eleganten Kopfputz vernichtet und ihre Kleider zerdrückt; ihre Augen waren matt und trübe, ihre Haut hatte die Frische und Weiße verloren; manche geheime Toilettenkünste verrieten sich und entstellten ihre Gebieterin, und mit den Herren stand es noch viel schlimmer. Sie klagten über Kopfschmerz, Unbehagen, und ihr Aussehen, wie lebende Leichen, klagte dies alles viel besser. Noch wußte keiner, was mit ihm geschehen; jeder schämte sich und suchte sich den Blicken der übrigen zu entziehen.
    Endlich war die Tür geöffnet, und Tageshelle drang in den Saal, dessen Lichter zu erlöschen drohten. Der Notar trat ein, bat um Schweigen, und als dieses erfolgt, begann er:
    »Ich bringe hier jemandem aus dieser Gesellschaft 20 Millionen Franken.« Es entstand eine Pause des Erstaunens und ehrfurchtsvollen Schweigens.
    »Mir!« sagte Raphael fest.
    »Wissen Sie schon? Ich erhielt die Nachricht mit einem Expressen. – Ihre Mutter, ist sie eine geborne O'Flahaty?«
    »Ja, Barbara Maria Charlotte, geboren zu Tours.«
    »Haben Sie Ihren und Ihrer Mutter Geburtsschein zur Hand?«
    »Wohlan, Martin O'Flahaty, gestorben am 15. August zu Kalkutta, hat Sie zum Universalerben seines Vermögens von 20 Millionen Franken eingesetzt.«
    »Der lange verloren geglaubte Bruder meiner Mutter!« entgegnete Raphael ruhig; «wie alles, was ich wünsche, von selbst sich fügt, als sympathisiere mein Begehren ganzlich mit der Ordnung der Dinge, hängt aber auch ebenso genau mein Tod damit zusammen? – Fruchtloses Grübeln! Ich hätte Weisheit erbitten sollen und wozu ? Um die Trostlosigkeit des ganzen Daseins zu erfahren. Alles, was ich gelernt, seit ich im Besitz des Elendsfells bin, bezieht sich nur auf einen solchen Sinn, und den Kern der Weisheit habe ich schon gefunden.« – Er wollte sich entfernen, aber der Wirt hielt den Gedankenvollen zurück.
    »Wohin, Herr Marquis von Valenti? Wünschen Sie nicht ein kleines Frühstück erst einzunehmen?«
    »Ich wünsche nichts!« sprach Raphael fest und verließ das Gemach.
    »Der hat sehr bald schon alle Vornehmheit eines reichen Mannes sich anzueignen verstanden!« rief einer der jungen Leute ihm nach.
    »Er kann alles, was er will,« versicherte Aquilina: »er hat einen Talisman, den er Elendshaut nennt, und der alles vollbringt, alles! Erinnern Sie sich nur, meine Damen, daß Sie alle gestern lachen mußten: daß Sie einschliefen und eben erst wieder erwachten, geschah auf sein Geheiß!«
    Anfänglich schüttelte man ungläubig die Köpfe, mehr und mehr wurden aber Tatsachen angegeben, die das Wunder außer Zweifel stellten. Man erschöpfte sich in Verwünschungen und Scheltworten gegen Raphael, der andere Leute zu lachen und zu schlafen zwänge, wie es ihm einfiele. Als man aber gewahrte, daß Emil noch gegenwärtig sei, der Freund und Vertraute Raphaels, beruhigte man sich ein wenig. Eine Dame wollte sogar fest überzeugt sein. daß der liebenswürdige und großherzige Marquis von Valenti den Schabernack, den er getrieben, jedem reichlich ersetzen würde. »Was mich betrifft,« fuhr sie fort, »so werde ich um eine große Schnur echter Zahlperlen bitten, und« – fügte sie mit einem schmelzenden Blick auf Emil hinzu – »Sie haben sicherlich die Güte, ihm dies plausibel zu machen. Er darf ja nur wollen!«
    »Freilich! freilich!« sprach ein junger Mann. »Der Marquis von Valenti wird kein Knicker sein. Ich bin fest überzeugt, er bezahlt meine Schulden!«
    «Er wird meinem großen hagern Oheim einen Schlagfluß zusenden, damit ich ihn beerbe!« rief ein Zweiter.
    »Wenn er mich nur vom Podagra befreite!« rief der Wirt.
    »Wenn er doch mir zuliebe die griechischen Papiere steigen ließe!« ein Rentier.
    Eine schöne junge Tänzerin behauptete zuversichtlich: »Wenn ich ihn wiedersehe, muß er mir eine Equipage mit zwei englischen Pferden schenken.«
    Aquilina sprach: »Ich bin bescheiden, ich wünsche nur einen echttürkischen

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